„Bestandsaufnahme Gurlitt“ heißt der Titel einer Ausstellung, die in der renommierten Bonner Bundeskunsthalle gezeigt wird. Schon der Titel verrät, dass es sich nicht um eine normale Kunstausstellung handelt, sondern auch um einen Kunstkrimi, um die niederträchtige Kunstpolitik der Nazis. Auf den ersten Blick , findet der Kulturredakteur des Bonner Generalanzeigers, sei es eine „merkwürdige Ausstellung ohne den roten Faden“, aber wenn der Besucher länger verweilt und sich langsam von Bild zu Bild vortastet und sich von Text zu Text über die historischen Zusammenhänge bewegt, wird er von der Ausstellung in einen Bann gezogen, die ihn so schnell nicht loslässt. Dabei ist festzustellen, dass die Bezeichnung „Nazi-Raubkunst“ für die in der Wohnung von Cornelius Gurlitt gefundenen Werke mehr als übertrieben ist. Von 1500 Stücken wurden bisher nur sechs als Raubkunst identifiziert.
Doch beginnen wir mit schweren Vorwürfen des Journalisten, Filmemachers und Autors des Buches „Der Fall Gurlitt“, Maurice-Philipp Remy, das in diesen Tagen auf den Markt gekommen ist. Schon das Eindringen in die Wohnung von Cornelius Gurlitt in München-Schwabing vor fünf Jahren sei nicht rechtens gewesen, ebenso stuft der Autor die Beschlagnahme der Kunstwerke als klaren Rechtsverstoß ein, die ganze Aktion wird von Remy in ein zweifelhaftes Licht getaucht. Denn Cornelius Gurlitt, der Sohn des einstigen Kunsthändlers in der Nazi-Zeit, Hildebrand Gurlitt, und Erbe von dessen Vermögen einschließlich der Kunstwerke habe sich nichts zu schulden kommen lassen.
Man schöpfte Verdacht
Mehr noch. Remy wirft der Öffentlichkeit und den Behörden vor, Gurlitt sei 2014 an den Folgen einer Herzerkrankung auch deshalb gestorben, weil die Öffentlichkeit ihn zu Tode gehetzt habe. Tatsächlich haben die Medien eine ziemlich unrühmliche Rolle gespielt. Und die bayerische Justiz, so der Buch-Autor weiter in einem Interview mit dem RBB, habe die in Deutschland geltende „Unschuldsvermutung mit Füßen getreten“. Und Gurlitts Anwalt Hannes Hartung ergänzte, man habe seinem Mandanten „ohne jeden Rechtsgrund die gesamte Kunstsammlung weggenommen“. Man schöpfte Verdacht, weil Cornelius Gurlitt mit 9000 Euro Bargeld in einem Schweizer Zug kontrolliert worden war. Und als der Name Gurlitt fiel, habe man bald auf Raubkunst geschlossen.
Man mag die Ausstellung in Bonn kritisieren für dies und das, den Beobachter regt sie an, sich mit dem Thema, das lange zurückliegt, zu befassen. Und die Meinung der Kulturstaatsministerin Monika Grütters(CDU) ist nicht zu bestreiten, dass die Bundesrepublik aufgrund der schlimmen braunen Vergangenheit des Landes eine besondere Verantwortung in dieser Frage hat. Diese wirklich gut gemachte Ausstellung mit ihren vielen Facetten hat ihre Berechtigung, auch wenn nur wenige Kunstwerke der Raubkunst zugeordnet werden konnten, darunter Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“, „Femme Assisi“ von Matisse, die Menzel-Zeichnung „Das Innere einer gotischen Kirche“, die Spitzweg-Zeichnung „Das Klavierspiel“. Vier der Werke wurden ihren Besitzern zurückgegeben. Zu Recht betonte der Intendant der Bonner Bundeskunsthalle Rein Wolf: „Jedes Raubkunstwerk ist ein Raubkunstwerk zu viel. Jede Restitution ist ein Riesenerfolg.“ Und wer weiß, was weitere Recherchen und Prüfungen der Werke ergeben.
Kunstwerke für das Führermuseum
Dem Beobachter fällt auf, dass unter jedem Bild eine so genannte Provenienz-Legende(Herkunft) steht und des öfteren der Satz zu lesen ist: „Aktuell kein Raubkunstverdacht.“ Aufschlussreich ist im Zusammenhang mit der Ausstellung und überhaupt mit dem Thema Raubkunst das Leben und die Rolle von Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelius, und Hauptkunsthändler der Nazis für den so genannten „Sonderauftrag Linz“. Hildebrandt Gurlitt war ein Kunstliebhaber, der zunächst nicht auf der Seite der Nazis stand, wenn er das überhaupt jemals war. Als Museumsdirektor von Zwickau wurde er auf Druck der Nazis ebenso entlassen wie später als Leiter des Kunstvereins Hamburg, auch weil er ein Freund der Kunst der Moderne war, die die Nazis als entartete Kunst verurteilten. 1933 lehnte er es ab, die Nazi-Flagge zu hissen. Hildebrand handelte mit Kunst und machte lukrative Geschäfte, mindestens kooperierte er mit den Nazis, sonst wäre er nicht Hitlers Chefeinkäufer geworden. So beschreibt ihn Rein Wolf, der Kunsthallen-Intendant. Und Hildebrand kaufte für Hitler in großem Stil Kunstwerke auf, um es mal so zu formulieren, weil damit das geplante „Führermuseum“ in Linz bestückt und geschmückt werden sollte.
Es sind, folgt man Rein Wolf in einem Interview mit spiegel-online weiter, „Bilder mit einer heiklen Herkunft“. Und die Geschäfte, die damit gemacht wurden, auch mit Gurlitts Hilfe, zeigen die NS-Kulturpolitik. Der Sonderauftrag Linz war direkt Hitler unterstellt, ihm sollte jedes Kunstwerk vorgelegt werde. Da das im Krieg immer schwieriger wurde, legte man ihm Fotoalben vor. Ein Großteil der Kunstwerke wurde den Eigentümern geraubt, Kunstwerke in jüdischem Besitz durften nur bis zu einem Preis von 1000 Reichsmark verkauft werden, dadurch verfielen die Preise. Juden verkauften ihre Bilder unter Druck zu Schleuderpreisen, weil sie ihre Flucht oder Auswanderung finanzieren wollten. Das weiß man aus den Geschäftsbüchern von Gurlitt. Hinter jedem Bild verbirgt sich ein menschliches Schicksal, das versuchte die Ausstellung in Bonn zu vermitteln.
Geschichte der Opfer belegen
Die Verbrechen der Nazis aufzuarbeiten, auch die Raubkunst und die Geschichte der Opfer zu belegen, das unermessliche Leid der Betroffenen und speziell der Juden zu beschreiben, ist Teil der historischen Verantwortung Deutschlands. Darauf hat die Ministerin Grütters hingewiesen. Die Ausstellung in Bonn ist nur ein Teil davon, mag sein ein kleiner, der aber neugierig macht, mehr über das Ausmaß dieser Verbrechen zu erfahren. So wurden während der Nazi-Zeit zwischen 1933 und 1945 rund 600000 Kunstwerke von den Nazis oder in deren Auftrag geraubt, zumeist von den Juden oder anderen Verfolgten. Geraubt wurde in Deutschland, in Österreich, aber auch in allen von den Nazis besetzten Gebieten Europas. Dieser Raub wurde nach dem Krieg von einer internationalen Organisation in London als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ eingestuft. 200000 Kunstwerke wurden in Deutschland und dem 1938 angeschlossenen Österreich geraubt, 100000 Kunstwerke wurden Juden und anderen Gegnern der NS-Diktatur in Westeuropa zwangsweise abgenommen, die Zahl der gestohlenen Kunstwerke in Osteuropa wird auf 300000 geschätzt.
So beschlagnahmten die Nazis nach dem Anschluß Österreichs am 12. März 1938 Kunstsammlungen in großer Zahl und stellten sie in der Wiener Hofburg sicher, darunter die Sammlung Louis Rothschild und die Sammlung des Kabarettisten Fritz Grünbaum, dessen Werke derartig verteilt und auch außer Landes gebracht wurden, dass sie bis heute nicht auffindbar sind. Grünbaum wurde 1941 im KZ Dachau ermordet, seine Ehefrau Lilly starb nach der Deportation im Vernichtungslager Maly Trostinez in der Nähe von Minsk.
Berufsverbote für viele Juden
Die regelrechte Ausplünderung der Juden wurde von den Nazis per Gesetz vorbereitet. Schon ab April 1933 wurden jüdische Berufsbeamte entlassen, jüdische Anwälte verloren ihren Job ebenfalls schon 1933, 1938 folgte für alle jüdischen Anwälte das Berufsverbot ebenso wie für Ärzte, Apotheker und für selbständige Handwerksbetriebe in den Händen von Juden. Sie mussten also sehr früh Teile ihres Eigentums, darunter eben viele Bilder verkaufen, um leben zu können.
Übrigens musste sich Hildebrand Gurlitt nach dem Krieg einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. In dem dazu gehörenden Fragebogen wies er daraufhin, dass er Halbjude war- seine Großmutter war Jüdin- und dass die Nazis ihn zweimal als Direktor eines Kunstmuseums entlassen hatten. Einer seiner Kronzeugen, die fü�r ihn aussagten, war der Maler Max Beckmann. Die Kunstwerke, die nun in Bonn wie in Bern ausgestellt werden, hatten ihm die Amerikaner zunächst abgenommen, sie gaben sie ihm aber wieder zurück. Hildebrand Gurlitt wurde dann Chef des berühmten Düsseldorfer Kunstvereins und zeigte zeitgenössische Kunst.
Quellen: Bonner Generalanzeiger, Süddeutsche Zeitung, Spiegel online, Stern de, Wikipedia, Maurice-Philipp Remy: Der Fall Gurlitt.
Bundeskunsthalle Bonn: Bis 11. März 2018, Öffnungszeiten, Di,Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr, Eintritt 6 Euro, Katalog 29.90 Euro. www.Bundeskunsthalle.de
Bildquelle: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)