Ältere erinnern sich gewiss noch an den liberalen Bundeswirtschaftsminister Hans Friedrichs: Nach der Ermordung des Chefs der Dresdner Bank durch Terroristen wechselte er Ende der 70er Jahre von Bonn nach Frankfurt am Main. Da er zuvor nie mit Geld, Kredit und Devisen zu tun hatte, wurde er als Neuling als „der teuerste Banklehrling“ geführt. Als Banker wurde er nie so richtig von seinen Kollegen in den anderen Kreditinstituten, aber auch nicht von allen in seinem eigenen Vorstand akzeptiert. Mitte der 80er Jahre ging seine Bank-Karriere zu Ende, zumal er ins Zwielicht der Flick-Spendenaffäre geraten war und mit einer Anklage wegen Steuerhinterziehung zu kämpfen hatte.
Nicht wenige Politiker haben seitdem den Seitenwechsel versucht. Die durchweg wesentlich höheren Einkommen in Unternehmen und Wirtschaftsverbänden waren für sie zumeist verlockender als die Diäten im Bundestag oder in den Länderparlamenten. Hier liegt wohl auch der wirkliche Grund dafür, warum sich der Seitenwechsel seit Jahrzehnten sehr einseitig vollzieht: Aus namhaften Unternehmen hat sich nie ein Vorstandsmitglied um ein politisches Mandat beworben, obwohl nicht wenige in Sonntagsreden ihre zumeist nicht mehrheitsfähigen politischen Rezepte anpreisen und einige sich für mehr Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft in die Politik einsetzen.
Der prominenteste Seitenwechsler ist ohne Zweifel Gerhard Schröder, der nach der verlorenen Bundestagswahl im September 2005 sehr schnell Aufsichtsratsvorsitzender der Nordstream AG, einem Pipeline-Konsortium, wurde, an dem die russische Gazprom ebenso wie die BASF und EON beteiligt sind. Die Freundschaft zu Putin machte es möglich.
Etwas betroffen muss indessen Angela Merkel reagiert haben, als ihre Staatsministerin Hildegard Müller im Oktober 2008 vom Kanzleramt zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft wechselte. Müllers Nachfolger, Eckart von Klaeden, quittierte ebenfalls seinen Dienst und wechselte zur Daimler AG, für die er nun als Cheflobbyist agiert.
Vor Jahren schied auch der Bundeswirtschaftsminister Werner Müller aus seinem politischen Amt aus und wurde Chef der Ruhrkohle AG. Dass die EON, Großaktionär der RAG, ihn in diese Position hievte, mag ein wenig damit zu tun gehabt haben, mit welchem Geschick Müller eine Minister-Erlaubnis für die Übernahme der Ruhrgas AG durch EON zustande brachte – nämlich über seinen damaligen Staatssekretär Alfred Tacke, der ebenfalls mit einem Vorstandsposten bei der RAG-Tochter Steag in Essen belohnt wurde.
Dirk Niebel, bis 2013 Minister des BMZ und einer der FDP-Lautsprecher, wird Anfang 2015 zum Rüstungsunternehmen Rheinmetall wechseln; als Rüstungslobbyist wird er sich indessen schwer tun, denn der Gegenwind aus der Großen Koalition wird ihm mächtig ins Gesicht wehen und liberale Politiker sind im Bundestag nicht mehr vertreten.
Etwas grotesk gestaltet sich der Wechsel von Ronald Pofalla, einst CDU-Generalsekretär und auch Chef des Bundeskanzleramtes, ins Management der Bahn AG. Anfang 2015 wird der Noch-Bundestagsabgeordnete dorthin wechseln, zunächst als Generalbevollmächtigter und spätestens 2017 als Mitglied im Konzernvorstand.
Bei anderen Politikern war die Suche nach dem Glück in der Wirtschaft ein mehr oder weniger großer Flop: Stefan Mappus, der ehemals unglückselige CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, wollte eine Führungsfunktion für den Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck im Ausland übernehmen, doch das wurde beendet, ehe es richtig begonnen hatte. Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin versuchte es zunächst im Vorstand der Bundesbank und zuvor auch bei der Bahn AG, hielt es jedoch in diesen Jobs nur relativ kurz aus.
Andere Politiker wechselten in die Wirtschaft, wo sie mehr oder weniger still operieren. Am besten lief es für den letzten Kohl-Adlatus und ehemaligen Chef des Kanzleramtes, Friedrich Bohl, der zunächst ins Management der Deutschen Vermögensberatung AG wechselte und heute Aufsichtsratsvorsitzender des größten deutschen Finanzvertriebs ist. Joschka Fischer verdingte sich als Berater von Siemens, RWE und BMW, Thüringens früherer Ministerpräsident Dieter Althaus als Cheflobbyist beim Autozulieferer Magna; das Polittalent Friedrich Merz wurde Partner einer großen internationalen Anwaltssozietät und widmet sich als Vorsitzender der Atlantik-Brücke den deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Mit riesiger Beachtung in den Medien vollzogen sich der plötzliche Abschied von Roland Koch aus dem Amt des hessischen Ministerpräsidenten und sein Einstieg als Vorstandsvorsitzender beim Bau-Konzern Bilfinger Berger AG. Und nun nach gerade einmal 3 Jahren an der Spitze dieses Unternehmens machte er mit seinem überraschenden Ausstieg wieder fette Schlagzeilen. Der ehrgeizige Hesse, der die Firmierung um den Namen Berger kürzte, hatte wenig Fortüne als Bau-Manager. Die Geschäfte liefen nicht gut, im Kraftwerksbau gab es keine neuen Aufträge infolge der Energiewende, ein Südafrika-Projekt bescherte Verluste, eine Gewinnwarnung folgte der anderen. Roland Koch verlor mehr und mehr Vertrauen – am Kapitalmarkt, im Aufsichtsrat und bei den gebeutelten, enttäuschten Aktionären. Den stürmischen Aufstieg aus den Niederungen der Politik auf den Gipfel der Wirtschaft hatte sich der Jurist mit begrenzt ökonomischen Fähigkeiten gewiss anders vorgestellt. In vielen Interviews brüstete er sich selbst als Seitenwechsler mit hohen Macherqualitäten; die Zahlen der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung spiegelten dies alles jedoch nicht wider. Die Bilfinger-Aktionäre verloren in der Hoch-Phase viele hundert Millionen Euro.
Diese eklatante Bruchlandung mag wie manche andere Seitenwechsel von Politikern, die nicht besonders glückten, eine Warnung sein. Wer in die Wirtschaft geht, wird nicht mehr an seiner Popularität, seiner politischen Ausstrahlung und am Wählervotum gemessen, sondern an nüchternen betriebswirtschaftlichen Kennziffern. So ist unsere Wettbewerbswirtschaft: Wer auf der Waage des Marktes steht und für zu leicht befunden wird, der muss gehen, dessen Karriere ist beendet.
Bildquelle: RolandKoch 2006, CC BY-SA 3.0 Tomukas