Gleich ganzseitig haben am Tag, an dem sich der neue Bundestag konstituierte, die deutschen Arbeitgeber einen großen Katalog mit wichtigen Forderungen an die Politik adressiert. Zu den Absendern zählen unter anderem Wolfgang Clement für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und sein Kollege vom Bundesverband der Deutschen Industrie, Dieter Kempf. Ihnen geht es vor allem um die Gestaltung der Zukunft Deutschlands.
Höchste Priorität für Bildung
Für die Wirtschaft steht die Bildung gleich an erster Stelle. Das System soll modernisiert und leistungsfähiger gestaltet werden. Kein Kind und kein Jugendlicher soll zurückgelassen werden, sondern vielmehr mit seinen Begabungen und Talenten gefördert werden. Gleiche Bildungschancen sind ohne Zweifel die beste Voraussetzung für gesellschaftliche Gerechtigkeit, für den beruflichen Aufstieg und die wirtschaftliche Partizipation. Im Hinblick auf die Digitalisierung, die längst begonnen hat und in den nächsten Jahren mit neuen Technologien, Sensoren, Robotern sowie künstlicher Intelligenz mit hohem Tempo in nahezu alle Bereiche des Lebens und Arbeitens vordringen wird, gilt es, die Menschen darauf vorzubereiten sowie sie dafür zu qualifizieren.
Auf dem Wunschzettel steht ebenso „ein faires und verständliches Steuersystem“, das gleich drei Ziele implizieren soll: Erstens soll es „Respekt vor der Leistung der Bürgerinnen und Bürger“ haben, zweitens Zukunftsinvestitionen unterstützen und drittens nachhaltiges Wachstum möglich machen. Vom Spitzensteuersatz, von besonderen Abschreibungen für Forschungsinvestitionen und anderen sonst so oft artikulierten steuerpolitischen Forderungen ist in der Anzeige der Unternehmerverbände nichts zu lesen – nicht einmal zur Erbschafts- oder Vermögensteuer.
Sozialsysteme stabilisieren!
Konkreter werden die Wirtschaftsführer beim Sozialversicherungssystem. Sicher und verlässlich soll es auch weiterhin sein -insbesondere bei der Rente-, doch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte zahlen müssen, sollen unter der kritischen Marke von 40 % des Bruttoeinkommens -bis zu den Beitragsbemessungsgrenzen- bleiben.
Energie und Klimaschutz synchronisieren!
Auf die Energiewende hat sich die Wirtschaft offenbar eingestellt. Doch sie fordert von der Politik nachdrücklich, „in einem europäischen Rahmen Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner“ zu bringen. Das dürfte fast der Quadratur des Kreises nahekommen, denn Merkels Wende-Kurs hat zwar der Stromerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse zum Durchbruch verholfen, doch fehlt es bislang an Speicher- und Leitungskapazitäten. Gerade einmal ein Drittel des elektrischen Stroms entfällt heute auf die regenerativen Energieträger. Rund 25 Mrd. € müssen die Stromverbraucher allein als Einspeisungsvergütung in diesem Jahr zahlen. Der Strompreis in Deutschland ist so hoch wie sonst in kaum einem anderen Land. Für die Versorgungssicherheit müssen grundlastfähige Kohle- und Gas-Kraftwerke vorgehalten werden. Und die Klimaziele -etwa die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % zu verringern- scheinen kaum erreichbar. Die immer lauter werdenden Klagen der mittelständischen Firmen über die hohen Stromkosten und die der Bauherren über maßlos übertriebene Maßnahmen für mehr Energieeffizienz -zum Beispiel durch Dämmen von Bauten u.ä.- haben keinen Eingang in die große Liste der Verbände gefunden.
Infrastruktur verbessern!
Immerhin wird für eine leistungsfähige Infrastruktur plädiert. Niemand kann die Rekordstaus im Straßenverkehr, die Defizite bei der Bahn und im öffentlichen Personen-Nahverkehr übersehen. Die dadurch entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten sind gigantisch. Für eine moderne Wirtschaft ist Mobilität ein ganz wichtiger Faktor. Eine verkehrspolitische Wende ist längst überfällig.
Riesiger Nachholbedarf hat sich auch bei dem Ausbau der Netze für die Digitalisierung aufgestaut. Mindestens 100 Mrd. € müssen investiert werden, um möglichst Glasfasernetze bundesweit zu installieren. Denn die schnellen Datenautobahnen „dienen allen und verbessern unser Leben und Arbeiten“, dafür finden die Vertreter des Unternehmerlagers gewiss viel Zuspruch. Ob die entsprechende Wende zum Besseren auch von der Politik in der 19. Legislaturperiode realisiert wird, bleibt zu hoffen.
Für ein modernes Zuwanderungsrecht
Die Wirtschaft klagt nicht nur über die Tatsache, dass immer mehr Betriebe den Bedarf an Fachkräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr zu decken in der Lage sind. Vielmehr wird in dem Wunschkatalog „ein modernes Einwanderungsrecht“ gefordert. Zuwanderer sollen auch rasch integriert werden; dazu leisten manche Betriebe bisher schon gute Beiträge, viele könnten in Zukunft gewiss noch mehr tun und den zugewanderten Fachkräften helfen, sich hierzulande schnell zu integrieren.
Politik: Schicksal der Wirtschaft
Schließlich überraschen die Wünsche der Wirtschaft nicht, die auf eine Stärkung Europas und auf die Vollendung des Binnenmarktes sowie auf eine Sicherung des Freihandels in unserer globalisierten Welt abzielen. Die Sondierer von Union, FDP und Grünen werden von diesen Botschaften aus dem Unternehmerlager gewiss nicht sehr überrascht sein. Doch bietet dieser Katalog Anregungen und Anreize, um Deutschland in Zukunft auf einem erfolgreichen Kurs zu halten. Schon Walther Rathenau, der Industrielle und liberale Politiker, hat bereits vor fast hundert Jahren darauf hingewiesen: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal.“ Die gute Konjunktur, die wir derzeit erleben, hat neue Rekorde an Beschäftigung, Steuereinnahmen und Beiträgen zu den Sozialkassen beschert. Eine Garantie dafür, dass dies einfach so weitergeht, gibt es indessen nicht. Nur mit Reformen, Verbesserungen der Rahmenbedingungen, richtigen Anreizen und guten Weichenstellungen durch Regierung und Parlament können durchaus bestehende Risiken vermindert sowie die Chancen für wirtschaftliche und soziale Erfolge genutzt werden. Die Politik ist das Schicksal der Wirtschaft – mehr denn je zuvor.
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