Nach den ersten Sondierungsgesprächen von CDU, CSU, FDP und Grünen und vor den Verhandlungen über eine Koalition im Bund müssen aufmerksame Beobachter zur Kenntnis nehmen, dass nicht 3, sondern 4 Parteien am Pokertisch sitzen. Deshalb ist die Definition dieses möglichen Bündnisses mit Jamaika nicht zutreffend, da die Flagge dieses Landes nur dreifarbig ist. Richtiger wäre es wohl, die Tansania-Fahne mit den vier Farben zu hissen: Schwarz für die CDU, blau für die CSU, gelb für die FDP und grün für die Grünen. Doch dies mag nur eine Petitesse sein. Vielmehr fällt ins Gewicht, dass die politischen Schnittmengen dieser Parteien nicht sehr groß sind. Das gemeinsame Projekt für die 19. Legislaturperiode zeichnet sich derzeit nicht einmal in Umrissen ab.
Große Unruhe in CDU und CSU
Angela Merkel will Bundeskanzlerin bleiben. Dies war das wichtigste strategische Ziel der CDU; die Parteispitze zeigt sich trotz der kräftigen Wählerverluste zufrieden und will auch nichts erkennen, was sie falsch gemacht hat. Indessen bebt es in den Regionen der Union – insbesondere in Bayern und deutlich vernehmbar in Sachsen, wo Ministerpräsident Tillich aufgibt. Dass die AfD in Sachen bei der Bundestagswahl die stärkste Partei geworden ist, das hat dort eingeschlagen wie eine Bombe. Die Auswirkungen auf das nicht so ferne Berlin werden sich in der nächsten Zeit noch bemerkbar machen: Es rumort bereits gewaltig in der CDU – insbesondere bei der jüngeren Parteigarde. Die Oldies im bisherigen Merkel-Kabinett dürften sich ihrer Ministersessel kaum sicher sein. Das gilt für Ursula von der Leyen, die bei den Soldaten so unbeliebt ist wie kein Verteidigungsminister zuvor, ebenso wie für Thomas de Maizière, der mehr innere Unsicherheit statt Sicherheit zu garantieren vermochte.
Schäubles Vermächtnis
Mehr oder weniger freiwillig gibt Wolfgang Schäuble sein Amt als Bundesfinanzminister auf. Er wechselt auf den komfortablen Sessel des Bundestagspräsidenten, von dem aus er mehr Politik ansagt denn macht. Seine „schwarze Null“ steht fast symbolisch für die CDU-Politik. Ohne allzu große Phantasie hat der Finanzminister die Steuereinnahmen kassiert, die Steuerbelastung für Millionen weiter steigen lassen und die Milliarden-Überschüsse im Haushalt als seine große Leistung feilgeboten.
Ausgabenwünsche bis zu 180 Mrd. €?
Nach der ersten Runde der Sondierungen und den unzähligen Interviews der Matadoren aus den Reihen von CDU, CSU, FDP und Grünen sind die Themen, die den Einzelnen wichtig sind und für die in der Vierer-Koalition tragfähige Lösungen gefunden werden sollen, mehr oder weniger deutlich. Wie die Parteien bei Flucht, Asyl, Migration, Familiennachzug und Integration auf einen gemeinsamen Nenner kommen wollen, ist bislang noch überhaupt nicht erkennbar. Dasselbe gilt für das weite Feld „Energie, Klima und Umweltschutz“ sowie für die Sozialpolitik. Während die CDU in der Finanzpolitik bei den Ausgaben recht zurückhaltend operieren will, übertreffen sich FDP und Grüne mit allen möglichen Forderungen an den Bundeshaushalt. Experten beziffern die Wünsche der Liberalen auf rund 180, die der Grünen auf etwa 150 Mrd. €. Christian Lindner überraschte gar mit seiner Vorstellung, auch die Steuern zu erhöhen – etwa für multinationale Konzerne wie Google, Amazon und andere. Die Grünen werden ihm darin wohl zustimmen und auch eine Heraufsetzung des Spitzensatzes der Einkommensteuer auf die Agenda setzen.
Weitgehende Einigkeit besteht bei dem Plan, die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen zu entlasten; das angestrebte Volumen bewegt sich hier zwischen 15 und 30 Mrd. €. Ob dafür die Zustimmung der Länder zu erreichen sein wird, das ist noch völlig offen. Dagegen könnte der Bund den Abbau des Solidaritätszuschlages, der jährlich 20 Mrd. € in die Haushaltskasse spült, einleiten.
Abschied von der schwarzen Null?
Mehr öffentliche Investitionen streben die vier Parteien unisono an – vor allem in den Bereichen Bildung, digitale Netze und Verkehr. Dafür wären ebenfalls hohe staatliche Milliardenbeträge erforderlich. Die FDP will dafür die Bundesbeteiligungen an der Telekom und Post mobilisieren. Wie das alles mit der Absicht, keine neuen Schulden zu machen und die aufgetürmten Kreditberge abzubauen sowie die schwarze Null im Haushalt weiterhin zu sichern, zusammenpassen könnte, das bleibt mehr als offen. Das kühle Durchrechnen all´ dieser Wünsche wird rasch zeigen, dass hier die möglichen Partner von einer Koalition der Illusionen große Abstriche machen müssen. Die harte Landung ist also vorprogrammiert. Zunächst kann noch weiter gepokert werden. Gesucht wird zudem das große gemeinsame Projekt für die neue Legislaturperiode.
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