Ein Wesensfehler der modernen Ökonomie: Die mangelhafte Berücksichtigung geldgeschichtlicher Erfahrungen
Viele bedauern, dass man von verschiedenen (renommierten) Ökonomen häufig sehr verschiedene Antworten auf die gleiche Frage bekommt. Dies ist einfach zu erklären: Ökonomie ist eine Gesellschaftswissenschaft und die befragen Ökonomen sind Teil der Gesellschaft und selbst „Player“ in dieser Gesellschaft und somit stets interessensgebunden. Da es in der Ökonomie immer um die Frage geht, wer bekommt was und wieviel für das was er tut, ist die Ökonomie eo ipso eine Interessens– und Konfliktwissenschaft. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass man sich bei der Auseinandersetzung mit der Ökonomie immer wieder an das einfache Instrumentarium von Peter Drucker hält: Man benötigt humanwissenschaftliches Wissen und muss die sogenannte „Realität“ stets hinterfragen!
Um zu demonstrieren wie wenig wir von der Geldgeschichte wissen, nenne ich zunächst einmal drei Namen und drei Jahreszahlen: John Law 1716, Nicholas Biddle 1823 und Ivar Kreuger 1929. Vielleicht verstehen Sie besser, worauf ich hinaus möchte, wenn ich zwei weitere Namen ergänze:
Bernard (Bernie) Cornfeld IOS 1969 und Bernard Madoff 2008 oder wenn ich den mit Abstand größten Kapitalvernichter aller Zeiten in Deutschland hinzufüge: Josef Ackermann.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, zu allen Genannten detaillierte Ausführungen zu machen. Details kann man in jedem besseren Geschichtsbuch oder in Wikipedia nachlesen. Gemeinsam ist allen, dass sie unglaubliche Summen an Kapital vernichtet haben und in ihrer jeweiligen Hochzeit gefeiert und anschließend gefeuert wurden. Bernard Madoff verursachte 2008 auf dem Höhepunkt seines in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder auftretenden Schneeballsystems einen Schaden von rund 51 Milliarden Euro und wurde 2009 zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt.
Die Deutsche Bank als einer der größten Kapitalvernichter aller Zeiten
Das Schicksal von Madoff blieb Ackermann erspart, obwohl er, nach dem von ihm selbst in der Öffentlichkeit vertretenen Maßstab, in der Spitze deutlich mehr als Madoff, nämlich über 90 Milliarden Euro vernichtet hat. Er selbst nannte die Marktkapitalisierung den einzig richtigen Maßstab, um die Performance einer Bank zu bewerten. Die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank betrug am 11.05.2007 111,92 Milliarden Euro. Im November 2011 fiel dieser Wert auf 19,09 Mrd. Euro. Die Aktie der Deutschen Bank war seit ihrem Hoch um rund 80% abgestürzt.
Während Peter Drucker (siehe Zitat oben) schon im August 2003 auf den Unsinn des Shareholder – Value – Ansatzes hingewiesen hatte wurde dieser von Ackermann und der Deutschen Bank bis zum heutigen Tage vehement verteidigt. Was die Wertevernichtung durch deutsche Banker zwischen 2007 und 2011 anbetrifft, könnte man die Liste um viele Namen verlängern. Doch Ackermann/Jain muss man aus dieser Liste besonders hervorheben, weil sie für das krisenverursachende Thema Eigenkapitalrendite in Deutschland hauptverantwortlich waren, wie weiter unten beschrieben wird.
Wer die Geldgeschichte der vergangenen 500 Jahre einigermaßen kennt, zumindest diejenige von John Law bis Josef Ackermann, war nicht überrascht, dass es im Jahr 2007/2008 so kam, wie es kommen musste: Denn sogenannte „moderne“ finanzwirtschaftliche Instrumente wie derivative Finanzprodukte, Hedge Fonds, ABS, CDOs, CMOs, CLOs und CDS gab es in der Geldgeschichte in der einen oder anderen Form schon immer, auch wenn unter anderen Namen. Sie waren und sind nichts neues, auch wenn dies geldgeschichtslosen Journalisten, Politikern und Nadelstreifenbankern vielleicht nicht immer bekannt war.
Mit nur rudimentären geldgeschichtlichen Kenntnissen hätte man prognostizieren können, dass das exorbitante Wachstum derivativer Produkte in der Vergangenheit immer zu einem Crash geführt hatte – und deshalb gehörte meine Bank unter den Top 50 zu den wenigen, die solche Produkte gemieden hatte. Noch heute prognostiziere ich weitere Crashs, Bankzusammenbrüche und Krisen, weil der Bestand an derivativen Produkten im Vergleich zur realwirtschaftlichen Deckungsmasse noch immer viel zu hoch ist.
Die Eurokrise – ein völlig falscher Begriff
Es gab und gibt keine Eurokrise sondern „nur“ eine Schuldenkrise, die spekulativ in der privaten Bankwirtschaft entstand und dann von den Staaten aufgefangen werden musste, um sog. Bankruns und einen Zusammenbruch des gesamten Geldsystems zu verhindern. Durch die „Sozialisierung“ der Bankschulden haben sich die Staatsschulden gewaltig erhöht und zusätzliche Währungsrisiken produziert, die uns noch über viele Jahre hinaus beschäftigen werden.
Tabelle 1: Schuldenquote ausgewählter Länder in % des BIP
2005 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | |
68,0 | 64,9 | 66,3 | 73,5 | 83,2 | 82,4 | |
Griechenl. | 100,3 | 105,4 | 110,7 | 127,1 | 142,8 | 157,7 |
Spanien | 43,0 | 36,1 | 39,8 | 53,3 | 60,1 | 68,1 |
Frankreich | 66,4 | 63,9 | 67,7 | 78,3 | 81,7 | 84,7 |
Irland | 27,4 | 25,0 | 44,4 | 65,5 | 96,2 | 112,0 |
Italien | 105,9 | 103,6 | 106,3 | 116,1 | 119,0 | 120,3 |
Portugal | 62,8 | 68,3 | 71,6 | 83,0 | 93,0 | 101,7 |
Euroraum | 70,0 | 66,2 | 69,9 | 79,3 | 85,4 | 87,7 |
Großbrit. | 42,5 | 44,5 | 54,4 | 69,6 | 80,0 | 84,2 |
USA | 61,9 | 62,4 | 71,5 | 84,7 | 92,0 | 98,3 |
Niederl. | 51,8 | 45,3 | 58,2 | 60,8 | 62,7 | 63,9 |
Schweden | 50,4 | 40,2 | 38,8 | 42,8 | 39,8 | 36,5 |
Schweiz | 52,4 | 43,4 | 40,9 | 38,8 | – | – |
An Tabelle 1 „ Schuldenquote ausgewählter Länder in % des BIP“ kann man erkennen, dass es bis zum Jahre 2008 in keinem der Länder einen signifikanten Anstieg der Verschuldung gegeben hatte. Irland und Spanien waren sogar absolute Musterknaben. Irland wurde dann innerhalb von drei Jahren durch die privaten Bankencrashs zum größten Schuldentreiber in Europa.
Tabelle 2: Haushaltsdefizite ausgewählter Länder in
2005 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | |
–3,3 | 0,3 | 0,1 | –3,0 | –3,7 | –2,7 | |
Griechenl. | –5,2 | –6,4 | –9,4 | –15,4 | –9,6 | –8,5 |
Spanien | 1,0 | 1,9 | –4,2 | –11,1 | –9,3 | –6,4 |
Irland | 1,6 | 0 | –7,3 | –14,4 | –32,3 | –10,3 |
Italien | –4,3 | –1,5 | –2,7 | –5,3 | –5,0 | –4,3 |
USA | –3,2 | –2,8 | –6,2 | –11,2 | –11,3 | –8,9 |
Tabelle 2 können Sie die Haushaltsdefizite einiger Länder in % des BIP entnehmen. Sie sehen, dass bis zum Jahre 2007 die Situation in fast allen Ländern unproblematisch war und wie sich dann die Krise des Bankensektors auf z.B. das irische und US-amerikanische Haushaltsdefizit ausgewirkt hat.
Wenn man die Schuldenquoten und Haushaltsdefizite der sogenannten GIPSI – Staaten mit derjenigen der USA vor der Krise vergleicht und beachtet, dass die Bankenkrise in den USA ihren Ausgang genommen hatte, hätte man prognostizieren müssen, dass die USA – und insbesondere der Dollar – stärker in Mitleidenschaft gezogen werden müssten als Europa und der Euro.
Warum das nicht so war, liegt u.a. in der Existenz US – amerikanischer Rating – Agenturen und in einem erheblichen Konstruktionsfehler des Euro begründet. In einem einheitlichen Währungsraum muss es eine einheitliche Finanz – und Wirtschaftspolitik geben. Wenn diese nicht gegeben ist, dann werden sich die realwirtschaftlichen Ungleichgewichte irgendwann destabilisierend auswirken. Dass dies so kommen musste, konnte man vor der Einführung des Euro in den 90er Jahren vorhersehen. Während sich viele in dieser Frage vom Saulus zum Paulus wandelten – stellvertretend sei der ehemalige BDI – Präsident Olaf Henkel genannt – hatten in den 90er Jahren viele verantwortungsvolle Wirtschaftswissenschaftler und Politiker vor der voreiligen Einführung des Euros und den inzwischen eingetretenen Folgen gewarnt.
Die Gier und die Schuld der Banken
Wenn man die Gründe der privatwirtschaftlich verursachten Krise aufzählen möchte, gibt es viele: Schon Anfang 2008 hatte ich in einem Aufsatz „Der einzige Weg aus der Finanzkrise: nachhaltiges Banking“ auf mindestens neun verschiedenen Ursachen der Krise hingewiesen:
- Die Vorgabe bestimmter Risiko- , Mess- und Bewertungsmethoden durch eine staatliche Aufsicht ist falsch.
- Die beste Kontrolle sind funktionierende Märkte, deswegen müssen oligopolistische Bankstrukturen verhindert werden.
- Die Entlohnung der Bankmanager darf sich nicht nach kurzfristigen Erträgen bemessen, sondern muss an der langfristigen Performance ausgerichtet werden (richtige Anreizsysteme).
- Die Steuerung der Bankrisiken nur durch Eigenkapitalunterlegung ist völlig unzureichend.
- Benötigt wird ein System von Mindestreservesätzen auf alle Arten von Aktiva.
- Das System zentralisierter Ratingagenturen für die Kreditbewertung muss wieder dezentralisiert werden.
- Außerbilanzielle Aktivitäten darf es gar nicht oder nicht über bestimmte Größenordnungen hinaus geben.
- Aufsichts- und Verwaltungsräte müssen professionalisiert werden, indem die Vertreter die Beherrschung der modernen Finanzinstrumente nachweisen müssen.
- Sofortige Einführung einer Finanzmarkt-Transaktionssteuer (Tobin Tax).
Führt man das gesamte Ursachenbündel wirtschaftshistorisch unter einer einzigen Zentralursache zusammen, kommt man wieder zum Thema Gier. Was die Gier für den sogenannten „kleinen Mann“ (Geiz ist geil) war, war für Josef Ackermann in den 90er Jahren das großspurige Versprechen von und die Forderung nach 25% jährlicher Eigenkapitalrendite. Eine jährliche Eigenkapitalrendite von 25 % würde bedeuten, dass sich der Wert eines Unternehmens alle 3 Jahre verdoppelt. Oder man kann es auch andersherum begründen, warum diese Aussage gier – und wahngetrieben war: wenn die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate einer Volkswirtschaft rund 2 % beträgt, kann es niemanden geben, der dauerhaft Renditen von 25 % erzielen kann. Und das schon gar nicht in einer so konservativen Branche wie derjenige der Banken, wo alle Instrumente und Wachstumstreiber seit Jahrhunderten bekannt und weitestgehend ausgeschöpft sind.
Zwar können einzelne Unternehmen über eine gewisse Anzahl von Jahren – insbesondere in innovativen Wachstumsbranchen wie z.B. der Smartphone- oder der Internet-Branche – immer über den durchschnittlichen Wachstumsraten liegen, doch das kann nie für die gesamte Geldbranche einer Volkswirtschaft gelten.
Ackermann und Jain als Hauptverantwortliche in Deutschland
Als Ackermann daran erinnert wurde – insbesondere von der Realwirtschaft – dass in Deutschland die dauerhaften Renditen deutlich unter 10% liegen, erklärte er kurzer Hand, dass Banken diese Renditen erzielen könnten, weil sie erheblich weniger Eigenkapital hätten als Unternehmen in der Realwirtschaft. Spätestens in diesem Augenblick war jedem mathematisch und wirtschaftshistorisch Gebildeten klar: Risiko, Risiko, Risiko.
Denn wenn man mit erheblich weniger Eigenkapital in der Geldbranche wesentlich höhere Umsätze als die Realwirtschaft generiert, so geht dies nur auf Kosten von höheren Risiken.
Spätestens bei einer kleinen Bilanzanalyse wurde die unverantwortliche Risiko – Positionierung der Deutschen Bank und von amerikanischen Banken wie z.B. Lehman Brothers oder von Schweizer Banken wie der UBS klar. Und ich will es mit deutlichen Worten sagen: Auch heute, wenn man die Bilanzstruktur der Deutschen Bank erneut anschaut, erkennen wir leider, dass das unheimliche Gefahrenpotential noch längst nicht im Griff ist. Noch im Jahre 2010 hatte die Deutsche Bank alleine derivative Positionen in Höhe von 50.990 Mrd. Euro und dies bei einer Bilanzsumme von rund 1.850 Mrd. Euro oder einem harten TIER1 – Kapital von 32,5 Mrd. Euro.
Die Bilanz der Deutschen Bank zeigt stellvertretend, dass wir nach wie vor erhebliche Systemrisiken haben. Diese werden auf Dauer – hier lässt sogar nur die allerjüngste Geldgeschichte grüßen – genauso wenig handhabbar sein, wie sie es im Falle der Lehmann – Pleite war. Das einzige, was die Banken in ihrem unverantwortlichen Gebaren bisher gerettet hat – und weiterhin retten kann – , ist die schützende Hand des Staates und der Steuerzahler.
Statt ihrer realwirtschaftlichen Verantwortung der Geld – und Kreditversorgung nachzukommen, hat sich das spekulative giergetriebene Verhalten der wenigen Großbanken seit der letzten Krise nicht wesentlich verändert. Wenn, wie meistens behauptet, Derivate ausschließlich oder wenigstens überwiegend der Risikoabsicherung dienten, dürfte ihr Volumen nur einem bestimmten Teil des Welthandels entsprechen. Aber schon 2010 betrug der Nominalwert der derivativen Produkte ungefähr das Zehnfache des kumulierten Welt – BIPs. Auch an dieser Zahl erkennt man das unverantwortliche Systemrisiko, das skrupellose Treasury – Banker wie Anshu Jain auf den Schultern der Steuerzahler abladen.
Besonders perfide war in den 90er Jahren, dass die privaten Banken in Deutschland gleichzeitig und parallel – unter Federführung der Deutschen Bank und Josef Ackermanns – bei der EU intervenierten, dass der öffentlich – rechtliche Bankensektor in Deutschland durch die teilweise Staatshaftung erhebliche Wettbewerbsvorteile habe. Die anschließend durch Brüssel veranlasste – und vom privaten Bankensektor verursachte – Zerschlagung des Landesbanksektors führte dazu, dass die Landesbanken ähnliche Risiken wie die Deutsche Bank im Bereich der Derivate eingegangen sind, obwohl sie von diesen Produkten noch weniger verstanden hatten als die Deutsche Bank. Dadurch hatte sich das Systemrisiko noch weiter erhöht.
Banken müssen richtig reguliert werden
In der von den privaten Banken verursachten Krisensituation waren in den Jahren 2008 ff. erhebliche, jedoch unvermeidbare staatliche Interventionen die Folge. Um eine Weltwirtschaftskrise zu verhindern, begann nun eine Politik der extrem niedrigen Zinsen und der (sinnvollen) Staatsverschuldung. Weshalb man dennoch von einem Versagen der Politik sprechen muss, wird weiter unten erläutert.
An dieser Stelle halten wir fest: Gier gab und gibt es immer, weshalb es nicht ohne staatliche Regulierung geht. Allerdings sollten Staaten das Richtige richtig regulieren, um mit Peter Drucker auf den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität hinzuweisen.
Wenn man die tausenden von Regulierungen im Geld – und Bankenwesen, die es in einzelnen Staaten gibt, betrachtet, fällt auf, dass man die meisten gar nicht benötigt. Viele von ihnen sind sogar kontraproduktiv und führen zu einer immer stärkeren Oligopolisierung des Bankensektors. Die Regulierungswut und -vielfalt nutzt nur den Großbanken, die diese Zusatzkosten durch ihre derivative Überproduktion und Spekulation im Gegensatz zu kleineren Banken auffangen können. Zur Verhinderung einer Systemkrise braucht man – geldgeschichtlich belegt – nur vier wesentliche Regeln. Alle anderen sind mehr oder weniger sinnvolles Beiwerk:
- Banken müssen (wieder) Mindestreserven bei ihrer Zentralbank unterhalten, denn Eigenkapital, das nur im Bankensystem vorhanden ist, steht im Krisenfall nicht zur Verfügung.
- Dem Ratingwahn muss begegnet werden. Dies kann ganz einfach dadurch geschehen, dass die Staaten alle Vorschriften zur Anwendung bestimmter Ratings aufheben. Dann werden wieder vermehrt Einzelprüfungen z.B. bei der Kreditvergabe stattfinden. Dies und weniger Aufsichtsbürokratie reduziert gleichzeitig die weitere Oligopolisierung des Bankwesens.
- Auf Finanzderivate müssen so hohe Transaktionssteuern gelegt werden, dass das Gesamtvolumen des Hedgings nicht höher ist als das reale Handelsvolumen.
- So, wie geldwirtschaftliche Ungleichgewichte in die Krise führen, gilt dies auch für realwirtschaftliche Ungleichgewichte: Dauerhafte Export – oder Importüberschüsse ruinieren die Weltwirtschaft. Zahlungs- und Leistungsbilanzen müssen ausgeglichen werden.