Zum Auftakt der Koalitionsgespräche über Jamaika kommt Stephan Weils Warnung an die eigene Partei, den Wahlerfolg der SPD in Hannover nicht zu überschätzen, gerade recht. Bislang jedenfalls ist noch nicht erkennbar, wie sich die Erneuerung und notwendige Selbstbesinnung der deutschen Sozialdemokratie vollziehen wird.
Allerdings besteht weitgehend Einigkeit darin, dass dies unabdingbar notwendig ist. Die Debatte darüber hör- und sichtbar zu machen und sie auf allen Ebenen zu befördern, wäre jedenfalls Aufgabe einer Parteiführung, die dabei für sich selbst die Bereitschaft haben müsste, für neue Köpfe den Platz an der Parteispitze gegebenenfalls auch zu räumen. Nicht ausgeschlossen, dass die Rückkehr der Sozialdemokratie zu ihren Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, auch das Personal findet, das eine Erneuerung überzeugend repräsentiert.
Bislang hat es nur den Personenwechsel in der SPD-Bundestagsfraktion zu Andrea Nahles gegeben. Zudem die Ankündigung des SPD-Generalsekretärs Hubertus Heil, nur noch bis zum Parteitag im Dezember im Amt zu bleiben. Wie es scheint, wird der amtierende Vorsitzende Martin Schulz gegenwärtig nicht in Frage gestellt. Daher die Chance, ohne durch Personaldebatten gehindert zu sein, ein neues Parteiprogramm und zeitgemäße Antworten zu formulieren, die das geltende Hamburger Grundsatzprogramm ablösen.
Die „Linke“ macht derzeit vor, was ein Streit zwischen Partei- und Fraktionsführung anrichtet, der notwendige Sachfragen und damit eine klare Haltung gegenüber den Rechtspopulisten in den Hintergrund drängt. Das gilt auch für ihre Haltung zur SPD als der führenden Oppositionspartei. Anders als bislang, wird sich an der Frage auch ihres Umgangs miteinander entscheiden, ob es den linken Parteien gelingen kann, in vier Jahren eine überzeugende Alternative zu Jamaika zu entwickeln.
Erneuerung ist ja kein Selbstzweck. Für die SPD bedeutet das nicht mehr und nicht weniger als in den nächsten vier Jahren auf der parlamentarischen Bühne politisch und inhaltlich zu überzeugen, um von einer Wechselstimmung getragen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und wieder regierungsfähig zu werden. Die schwierige und an inneren Widersprüchen tragende künftige Koalition gibt jedenfalls Gewähr dafür, sich so zu profilieren, dass niemand ein Ende des sozialdemokratischen Zeitalters ernsthaft erwarten muss oder erhoffen kann.
Zumal es durchaus nicht sicher ist, dass eine Koalition wie Jamaika die nächsten vier Jahre durchhalten wird. Für die Grünen, weniger für die FDP, kann eine Beteiligung in einem derart heterogenen Bündnis zu einem Selbstmordkommando werden. Denn es ist nicht ausgemacht, wie weit die CDU sich von der CSU nach rechts drängen lassen wird. Die Verlockung könnte wachsen, wenn die AfD ihren inneren Streit nicht beilegen kann, und weiter nach Rechtsaußen abdriftet, und als konservative rechte Protestpartei unglaubwürdig wird.
Die wieder marktradikale FDP will vor allem schnellstmöglich Deutschland digital weltmeisterlich aufzurüsten, bei gleichzeitiger Unlust, den Grünen zu folgen, wenn es darum geht, Digitalisierung auch sozial abzusichern. Digitalisierung verlangt aber eine Folgenabschätzung, die bei Verlusten von vielen Jobs ohne eine solidarische Wirtschaftspolitik nicht auskommen und womöglich auch nicht ohne ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa im Bereich Pflege und Gesundheitsfürsorge. Das dürfte mit der FDP nicht zu machen sein, die auch noch auf Steuersenkungen drängt.
Das Parlament in Berlin kann daher im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode wieder zur Bühne werden, auf der die politische Auseinandersetzung, und der politische Wettbewerb zu führen sein wird, möglichst fair und respektvoll ausgetragen. Es braucht den demokratischen Streit, der nach Regeln geführt wird, denen alle folgen. Wird er verweigert, dann sollte es niemanden wundern, wenn er auf der Straße fortgesetzt wird.
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