Als Ende Mai zum Abschluss des Evangelischen Kirchentages in Berlin während einer kleinen Feierstunde verkündet wurde, das nächste Protestantentreffen werde zwei Jahre später, im Juni 2019, in Dortmund stattfinden, waren sie umgehend wieder da, die stereotypen Ruhrgebietsklischees.
Da wurde von Rednern wie eh und je der Dreiklang aus Kohle, Stahl und Bier beschworen, natürlich durfte auch der Fußball nicht fehlen. Und dann war da noch die Moderatorin Bettina von Clausewitz, die namens des Kirchentages den „Industriestandort“ Dortmund hervorhob. Was Wunder, dass Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) in seiner bekannt klaren Redeweise die Journalistin fragte, wann sie denn wohl zum letzten Mal in Dortmund gewesen sei, etwa beim Kirchentag 1991 oder vielleicht gar beim Kirchentag 1963? In jenen Jahren hätte man solche Vokabeln noch verwenden könne, merkte Sierau an, heute aber werde seine Stadt von Wissenschaft, innovativen Technologien und Dienstleistungen geprägt.
Hans Leyendecker (68) ist das selbstverständlich bewusst. Der seit langem als herausragender investigativer Journalist bekannte Rheinländer hatte als junger Redakteur in den 1970er Jahren bei der Westfälischen Rundschau in Dortmund gearbeitet, bevor er zuerst beim Spiegel, anschließend bei der Süddeutschen Zeitung Karriere machte. Jetzt ist Leyendecker im Ehrenamt Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages und Präsident des 37. Kirchentages 2019 in Dortmund.
In dieser Funktion stellte er gemeinsam mit der Präses der Westfälischen Landeskirche, Annette Kurschus, und der Generalsekretärin des Kirchentages, Julia Helmke, am 16. Oktober im Rahmen einer Pressekonferenz in Dortmund die Losung des nächsten Kirchentages vor: „Was für ein Vertrauen“, ein Zitat aus dem Alten Testament, 2. Buch der Könige 18,19. Das ist in der an sperrigen Losungen reichen Geschichte der Kirchentagsbewegung wieder einmal ein Motto, das sich a priori nicht gleich erschließt, sondern der Erklärung bedarf. Dann aber erscheint allmählich ein Bild des Dortmunder Laientreffens in knapp zwei Jahren. Die Prognose sei gewagt, dass wir auf einen wieder politischen Kirchentag zugehen. Und das ist auch gut so.
Die Losung, sagte Annette Kurschus, habe „ein hohes aktuelles Potenzial angesichts der Zerreißproben der Gesellschaft“. Die Stadt Dortmund sei „in besonderer Weise geprägt von Umbrüchen, Abbrüchen und Spannungen – und ebenso von ungeahnten Chancen, überraschenden Möglichkeiten und verheißungsvollen Entwicklungen“.
Für Leyendecker, der ein durch und durch politischer Mensch ist, „scheint in einer fiebrigen und fiebernden Welt manchem das alte Wort Vertrauen heute seltsam verbraucht“. Dennoch glaubt er nicht, dass jemand, der ein solches Motto wähle, zu vertrauensselig sei. Die Losung erscheint ihm aber insofern richtig gewählt zu sein, als es gelte, das „kostbare, leicht verletzliche Gut Vertrauen“ vor nachhaltigen Beschädigungen zu bewahren.
Und dann zählt er die Beschädiger auf, die „Gefühle großer Verunsicherung“ schaffen: an der Spitze der amerikanische Präsident Donald Trump; dann die „Europaverächter und Feinde von Menschenrechten, die die Grenzen verriegeln“; der „zerstörerische Turbokapitalismus“; auch „Desinformation, Fake News und Halbwahrheiten, die wie Säure wirken“; schließlich „die Leute, die gern und oft von christlichen Werten reden und stumm zusehen, wie Flüchtlinge im Meer ertrinken oder in Lager gesperrt werden, in denen Warlords Männer erschießen und Frauen vergewaltigen“.
Exakt hier seien Christen gefordert, „sie müssen schreiendes Unrecht anprangern, und aus der Empörung kann dann auch Ermutigung wachsen“, sagt Leyendecker und zitiert die Kernaussage aller Kirchentage, „dass Christsein und politische Überzeugung zusammengehören“. In der Ruhrgebietsstadt Dortmund, wo sich eine wachsende, engagierte Zivilgesellschaft, in der die Kirche eine starke Rolle spielt, seit Jahren gegen einen Trupp widerlicher Nazis und zunehmend rabiatere Rechtspopulisten stemmt, fallen solche Positionen auf fruchtbaren Boden.
Und auch hiermit trifft Kirchentagspräsident Hans Leyendecker, der vor Jahren vom Katholizismus zum Protestantismus konvertierte, ins Schwarze: Am Rande der Pressekonferenz gefragt, ob es auch beim Dortmunder Kirchentag – wie im Mai in Berlin – Veranstaltungen mit AfD-Politikern geben werde, sagte er, das sei für ihn „schwer vorstellbar“. Zwar gehe er in der Regel keinem Dialogbegehren aus dem Wege, „aber ich diskutiere nicht mit Politikern der AfD oder mit Rassisten und ähnlichen Menschen und leite auch keine entsprechenden Podiumsdikussionen“.
Also die Losung „Was für ein Vertrauen“ für das Treffen in Dortmund im Juni 2019. Hinzu kommt noch ein Tupfer Lokalkolorit mit dem Motto „Glückauf und Halleluja“, das der Landesausschuss Westfalen des Kirchentags für sich gewählt hat. Und ganz ohne Fußball darf es im Ruhrgebiet natürlich nie abgehen: Erst jüngst wurde Borussia-Präsident Reinhard Rauball ins Präsidium des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags kooptiert. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass Hans Leyendecker Zeit seines Lebens ein treuer Fan der Schwarzgelben ist.