Es ist ein Zufall der Geschichte, dass der 9.November so etwas wie ein Schicksalsdatum der Deutschen geworden ist. Ein Datum, das bei den einen pure Freude auslöst, während andere am liebsten schamrot würden bei dem Gedanken an die geschichtliche Verbindung mit diesem Datum. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann aus einem Fenster des Berliner Reichstags die Republik aus. Am 9. November 1923 scheiterte Adolf Hitlers dilettantisch inszenierter Putsch im Kugelhagel der bayerischen Polizei vor der Feldherrnhalle in München. Am 9. November 1938 schlugen die Nazis in der Reichspogromnacht jüdische Geschäfte kurz und klein, zündeten sie und die Synagogen an, der Kulturbruch der Deutschen erlebte seinen ersten Höhepunkt. Das Attentat von Georg Elser scheiterte just an diesem Tag ein Jahr später, am 9. November öffnete sich die Mauer, der Anfang vom Ende der DDR. Der Mann, der damals die Meldung von der so genannten Reisefreiheit verlas und dabei wohl übersah, dass die Regelung erst einen Tag später in Kraft treten sollte, SED-Politbüro-Mitglied Günther Schabowski starb vor ein paar Tagen.
„Arbeiter und Soldaten, seid Euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst“, begann der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann seine kurze Rede an die wartende Menge vor dem Reichstag: „Unerhörtes ist geschehen. Alles für das Volk. Alles durch das Volk. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik.“ Der Krieg, der Tausenden von Soldaten das Leben gekostet, der Elend und Not über Europa gebracht hatte, war beendet, das Wilhelminische System abgelöst. Dabei war Scheidemann zu diesem Schritt nicht legitimiert, Ebert, der folgende Reichspräsident nicht informiert, aber so geschah es halt. Und ebenfalls am 9. November legte der französische Marschall Foch der deutschen Delegation unter Leitung von Matthias Erzberger im Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne, 80 Kilometer von Paris entfernt, die Waffenstillstands-Bedingungen vor: die Siegermächte verlangten u.a. die Räumung der besetzten Gebiete in Elsaß-Lothringen sowie des linken Rheinufers, die Abrüstung aller U-Boote, vieler Flugzeuge, Lokomotiven und der Hochseeflotte.
Die alten Eliten blieben im Amt
Aber auch, wenn Scheidemann erklärt hatte, es lebe das Neue und das Alte werde abgelöst, blieben die alten Eliten aus dem Kaiserreich auf ihren Posten in der Armee. Die von General Ludendorff betriebene Dolchstoßlegende, wonach das deutsche Heer angeblich im Felde unbesiegt gewesen sei, sondern bestimmte Kräfte in der Heimat ihnen in den Rücken gefallen seien, sorgte für eine Schwächung der folgenden Weimarer Republik von Anfang an. Die riesigen Reparationsforderungen taten ihr Übriges, um die Arbeit der Demokraten zu erschweren. Vor allem die Nationalsozialisten pflegten diese Legende gegen die Weimarer Republik wie auch andere Reaktionäre und Nationalisten.
Mit Bedacht wählten die Nazis um Hitler den 9. November, um gegen die Republik mit Hasstiraden zu kämpfen. Einige bayerische Reaktionäre dieser Nazis versammelten sich am Vorabend des 9. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller, um am fünften Jahrestag diese „schändliche“ Revolution zu verurteilen. Die NSDSAP um Hitler war damals noch eine Splitterpartei, gleichwohl planten ihre wenigen Leute um Hitler und Ludendorff eine nationale Revolution und den Marsch auf Berlin, um dort die Macht zu übernehmen. Sie kamen nicht weit, die bayerische Polizei stoppte den Unfug mit Waffengewalt vor der Feldherrnhalle. Hitler wurde verhaftet und landete in der Festung Landsberg, musste aber nur ein Jahr absitzen. Und schon hatten die Nazis wegen des wegen Hochverrats verurteilten Hitler einen neuen Gedenktag: der 9. November 1923 wurde von ihnen zur „Nationalen Erhebung“ hochstilisiert.
Weg in den Holocaust geebnet
Am 15. Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs- es ist der 9. November 1938, die Nazis sind längst an der Macht- erlag der deutsche Diplomat Ernst von Rath den Verletzungen, die ihm der Jude Herschel Grynszpan in Paris zugefügt hatte. Der 17jährige Grynszpan wollte mit der Attacke auf Rath gegen die Abschiebung Tausender Juden nach Polen protestieren. Hitler und Goebbels nutzten die Gelegenheit, den angeblichen „Volkszorn“ gegen Juden zu schüren. Nur wenige Stunden, nachdem der Tod Raths bekannt gegeben worden war, brannten in ganz Deutschland die Synagogen. In der Reichspogromnacht wurden „267 jüdische Gotteshäuser zerstört, etwa 7500 jüdische Geschäfte verwüstet, mindestens 91 Juden wurden getötet, Hunderte begingen Selbstmord oder starben infolge von Misshandlungen in den Konzentrationslagern, in die vermögende Juden zu Zehntausenden verbracht worden waren, um sie zur Auswanderung zu zwingen.( Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. S. 865)
Der Weg in den Holocaust war geebnet, wobei die Juden schon Jahre vorher durch entsprechende Gesetze entrechtet, im Grunde für vogelfrei erklärt und an den Pranger gestellt worden waren. Sie verloren ihre Ämter, ihre Geschäfte, mussten ihren Besitz verkaufen, wobei sie im Grunde enteignet wurden, weil der Verkaufserlös denkbar niedrig war. Dazu kamen die Schikanen, Juden durften nicht mehr in Theater, Museen und Schwimmbäder, in Eisenbahnabteilen durften sie sich nicht mehr aufhalten, wenn Arier dort waren, Telefonanschlüsse wurden ihnen ebenso abgenommen wie Führerscheine, deutsche Schulen waren für Juden gesperrt. Es gab keinen Zweifel mehr an den tödlichen Absichten Hitlers. So kündigte er in einer Ansprache am 30. Januar 1939 „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ an.
Als die Mauer geöffnet wurde
Wer hätte Anfang November 1989 gedacht, dass wenige Tage später, genau am 9. November die Mauer geöffnet werden würde, was im Grunde ihren Abriss bedeutete? Ja, es gab Bürgerproteste in der DDR, es gab Demonstrationen mutiger Bürger in der DDR, die in Leipzig gegen das SED-Regime und u.a. für Reisefreiheit demonstrierten. Wir sind das Volk! Aber Maueröffnung, das Ende der DDR, daran dachte damals niemand. Am 9. November weilte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl auf Staatsbesuch in Warschau. Noch während des abendlichen Banketts versuchte sein Vertrauter und langjähriger Mitarbeiter im Kanzleramt, Eduard Ackermann, den Kanzler ans Telefon zu holen, was nur mit Mühen gelang. Und als Ackermann dem Kanzler erzählte, dass die Mauer in Ostberlin geöffnet worden sei, wollte Kohl diese Geschichte nicht sofort abnehmen und fragte nach. Ackermann antwortete: „Herr Bundeskanzler, das Fernsehen sendet Live aus Ostberlin.“
Im Bonner Wasserwerk, so hieß das Übergangsparlament wegen des laufenden Neubaus des Bundestags, diskutierten die Abgeordneten irgendeinen Gesetzentwurf, als der Präsidentin des Bundestags die Meldung reingereicht wurde. Die Abgeordneten erhoben sich von ihren Plätzen und sangen die dritte Strophe des Deutschlandlieds. Einigkeit und Recht und Freiheit…
„Was für ein toller Geburtstag“, fand vor Jahren die Ostberlinerin Christin Heda, die wie rund 80 weitere Mädchen und Jungen just am 9. November das Licht der Welt erblickte. Die Mauer sei bis in ihre Familie hinein spürbar gewesen, hat sie später geschildert. Am Tag vor dem Mauerbau sei ihre Cousine in den Westen geflohen, deren Bruder wollte einen Tag später die Flucht ergreifen. Zu spät, die Geschwister wurden getrennt. Das Thema Mauerbau, so fand Christin Heda enttäuscht, sei in der Schule nicht behandelt worden, nicht einmal ihr Fall sei von den Lehrern besprochen worden. Dabei kann Geschichte spannend sein und sehr persönlich.
Comments 1