Vor 50 Jahren, am 10. Dezember 1971, hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in Oslo den Friedensnobelpreis erhalten. Daran erinnerte die Friedrich-Ebert-Stiftung just an dem Tag, an dem Olaf Scholz als vierter sozialdemokratischer Bundeskanzler seinen Amtseid leistete. Die Bemühungen, Brandt und Scholz in eine Linie zu stellen, sind augenfällig. Nicht Helmut Schmidt, trotz der Hamburger Herkunft, und schon gar nicht Gerhard Schröder sind die Vorbilder, an die Scholz anknüpfen will. Nach dem „Mehr Demokratie wagen“ von Willy Brandt, heißt es nun „Mehr Fortschritt wagen“. Und die Erwartungen an Scholz’ Kanzlerschaft nach Aufbruch und Wandel sind durchaus vergleichbar.
Unter dem Titel „Friedenspolitik in unserer Zeit“ machte die Paneldiskussion deutlich, dass Fragen von Krieg und Frieden heute nicht losgelöst von Wirtschaft, Ökologie und globaler Gerechtigkeit beantwortet werden können. Die Klimapolitik sei ein Schlüsselfaktor, betonte Kira Vinke, die das Zentrum für Klima und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik leitet. Diese Überzeugung werde auch die neue Bundesregierung leiten, unterstrich der Bundestagsabgeordnete Niels Annen, der noch als Staatsminister im Auswärtigen Amt sprach, bevor er ins Entwicklungsministerium wechselt.
Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, der selbst vor vier Jahren mit seiner Kanzlerkandidatur für die SPD gescheitert war, sprach über die Rolle der Europäische Union in der Krisenprävention. Er erinnerte an die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU und sprach sich für eine gemeinsame europäische Armee aus. Die NATO sei seit geraumer Zeit in einer Krise. Zugleich gebe es in der EU einen Zerfallsprozess. Einige Mitglieder betrachteten sie als „reine Geldmaschine“. Dennoch müsse die EU nicht nur politisch, sondern auch militärisch stärker werden. Das sehe Artikel 20 der Verträge für die Mitglieder, die gleichzeitig der NATO und der EU angehören auch vor. Zusätzlich regte er einen neuen Prozess nach dem Vorbild der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) an.
„Friede ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“, zitierte Beatrice Fihn, Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) Willy Brandt. Sie warb eindringlich für das Atomwaffenverbot, wies auf die breite Unterstützung in der deutschen Bevölkerung hin und lobte die neue Bundesregierung für ihre beobachtende Begleitung des Prozesses. Deutschland könne auch aufgrund des Erbes von Willy Brandt eine führende Rolle bei der weltweiten Abrüstung einnehmen.
Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, erinnerte an das Brandt-Wort, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten verlange. Auch Brandt selbst habe sich im Laufe seines politischen Lebens erst vom eher rechten Sozialdemokraten und Kalten Krieger zum Entspannungspolitiker und zur Ikone der Friedensbewegung gewandelt.
Brandts außenpolitische Leitlinien seien bis heute intakt, sagte Schmid und führte an: die deutsche Außenpolitik beruht auf der Westbindung; Dialog muss auch unter schwierigsten Bedingungen stattfinden und Abrüstung ist das zentrale Thema. Dazu stehe auch die neue Bundesregierung. Vordringlich sei ein neuer Anlauf zur Rüstungskontrolle.
Außerdem müssten dringend Regeln für neue automatisierte Waffen und so genannte Mininukes geschaffen werden. Die kleinen Atomraketen, wie sie der vormalige US-Präsident Donald Trump vorangetrieben habe, verbreiteten die Vorstellung, man könne einen Atomkrieg führen. „Das darf natürlich nicht sein“, betonte Schmid.
Er verteidigte das Vorhaben der Ampelkoalition, den Atomwaffenverbotsvertrag nur als Beobachter zu unterstützen, ohne ihm beizutreten. „Die atomwaffenfreie Welt bleibt „unverändert Ziel sozialdemokratischer Politik“, sagte Schmid, und: „Je schneller wir die Atomwaffen loswerden, umso besser. Sie sind nicht beherrschbar.“ Dann folgte sein Aber: „Mit einer Vollmitgliedschaft würden wir die Nato sprengen.“ Schmid plädierte dafür, den Impuls der Bewegung von über hundert Staaten aufzugreifen, aber auch anzuerkennen, dass es weitere wichtige Baustellen gebe, insbesondere bei der Rüstungskontrolle.
Insgesamt bekräftigte die Diskussionsveranstaltung, auf die am Abend noch ein Festakt folgte, ein weiteres Zitat von Willy Brandt, an das Martin Schulz erinnerte: „Der Frieden ist so wenig wie die Freiheit ein Urzustand, den wir vorfinden: Wir müssen ihn machen im wahrsten Sinn des Wortes.“
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