Fische sind in Not – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Wer sie gerne isst, will davon vielleicht etwas wissen, auch um vom weit übernutzten Mode-Fisch wegzukommen. Doch Fische leben im Wasser, in Bächen und Teichen und auf hoher See, auch in der Tiefsee – so glauben wir. Doch die im Dunklen, grad noch, wenn sie auch wandern, sieht man bekanntlich nicht. Die Fangmethoden der Fischtrawler entziehen sich unserem Bewusstsein. Genauso geht es uns mit den Lebensbedingungen der Fische, die wir essen. Seien sie natürlich, seien diese künstlich.
In dieses Dunkel bringt das Buch des Gespanns eines Berliner Umwelt-Journalisten und eines jungen Wissenschaftlers mit Fischexpertise Helligkeit. Wir haben in unseren Vorstellungen mitzuhalten mit dem, was sich revolutionär verändert. Das Buch wird dem in zwei Teilen gerecht.
Der erste Teil geht zu den Lebensbedingungen, zu den Weltmeeren, speziell zu Nord- und Ostsee, aber auch zum Bodensee. Eine Überschrift lautet „Meere und Seen im Schwitzkasten der Klimakrise. Massensterben, Geflüchtete, Einwanderer“. Das heisst: Den Fischen geht es nicht viel anders als den Menschen an Land – wir teilen deren Probleme. Die Situation im Bodensee wird portraitiert – die Touristen dort erhalten in den seegelegenen Restaurants weiterhin „Bodensee-Felchen“. „Doch vier von fünf Bodenseefischen kommen inzwischen aus Finnland und Kasachstan, aus Irland, Island, Kanada oder vom Gardasee“. Der Grund: Die zur Jahresmitte gefangenen Fische müssten eigentlich kugelrund sein, doch sie sind mager und ausgezehrt, wiegen nur noch 200 statt 400 Gramm. »Dia hont nix zom Fressa!«, platzt es aus einem zitierten Fischer heraus. Der Bodensee ist, so paradox das klingen mag, viel zu sauber geworden und damit zu nährstoffarm geworden für die Fische. In den 1970er Jahren wurden noch Badeverbote wegen »Seuchengefahr« verhängt, heute plätschert aufwändig für die Wasserwerke gereinigtes »hochwertiges Rohwasser« in den See. Der Bodensee liefert Trinkwasser für fünf Millionen Menschen, aber kein Futter mehr für die Fische. Ein Nutzungskonflikt. „Sehen“ kann man das als Bodensee-Tourist nicht.
Der zweite Teil bietet „Fischportraits“. Die Lektüre kann einem zum Umdenken bringen beim Kauf an der Fischtheke. Er kann auch die Empathie für diese unsere Mitlebewesen fördern.
Die Hauptbotschaft des Buches aber zeigt sich in dieser für mein Weltbild sensationellen Abbildung. Ich glaubte bisher, es sei wie in meiner Jugend: Die Fische, die wir verzehren, kämen weit überwiegend aus den Meeren oder aus den Süßgewässern. Das aber war einmal. In der Spanne meiner Lebenszeit hat sich das Bild total gewandelt. Begonnen hat der Wandel in den 1970er Jahren. Ergebnis des Trends ist heute, dass etwa die Hälfte der Fischereierträge aus Aquakulturen kommt. Der Wildfang, dominant aus den Meeren, stagniert nicht nur, er geht zurück. Wobei es begrifflich immer schwammiger wird, was „Wildfang“ eigentlich ist.
Die Situation beim Aal ist beispielhaft. Die durchsichtig-gläsernen Jungaale werden aus dem Laichgebiet der Sargassosee in einer mehrjährigen ozeanischen Drift von der Strömung an die Küsten Europas und Nordafrikas getrieben. Von dort aus sollten sie, wenn es natürlich zuginge, als Steigaale ins Brackwasser und dann die Binnengewässer hoch wandern. In der Nordsee noch ist das Aufkommen der Glasaale bereits auf historische Tiefststände gesunken. Ein Minus von mehr als 99 Prozent im Vergleich zu den Jahren 1960 bis 1979. Aber was davon in den oberen Flussläufen ankommen kann? Die Binnengewässer sind schließlich verbaut.
Die „Lösung“ lautet „Besatzmaßnahmen“. D.i. das Fangen junger Aale, mit hohen Verlusten beim Handel und Transport, und ihr Aussetzen in Flüssen weiter oben. In Seen, in touristischen Regionen, geschieht das nachts, um den Schein des Natürlichen zu bewahren. Dort kann der Aal dann weiter geangelt und gefischt werden. Der Internationale Fischereirat jedoch empfiehlt, Aalfänge für „Besatzmaßnahmen“ nicht mehr zu erlauben. Es fehlten »schlüssige Beweise, dass sich aus Besatzmaßnahmen ein Nettonutzen für den Aal ergibt«. „Was ist Wildfisch?“ würde Pilatus wohl heute fragen.
Wer wissen will, was er in der Regel isst, wenn er Fisch isst, sollte die drei Kapitel zu den Zucht-Bedingungen in Aquakulturen lesen. Die gelten als Ergebnis der „blauen Revolution“. Und wie zur Zeit der Frühphase der „Industriellen Revolution“ geht es dort auch zu.