Deutschland diskutiert über eine Obergrenze für Flüchtlinge, darüber auch, wie man den Ursachen der Flucht beikommen könne, der Bundestag beschließt den Einsatz der Bundeswehr mit 1200 Soldaten, einigen Tornados und einer Fregatte, um die Terroristen des „Islamischen Staates“ zu bekämpfen. Bei alldem darf ein anderes Thema nicht unter den Tisch fallen: Fast täglich passieren Anschläge gegen Flüchtlingsheime. 747 Anschläge gab es in diesem Jahr bis Ende November, so eine Liste des Bundeskriminalamtes. Die „Zeit“ und „Zeit Online“ haben in wochenlangen Recherchen die einzelnen Fälle überprüft und auf einer Landkarte der Bundesrepublik die Orte festgehalten, an denen es dazu kam, zu Brandanschlägen, tätlichen Angriffen, Sachbeschädigungen, Wasserschäden. Zeit-Chefredakteur Di Lorenzo spricht in seinem Aufmacher „In Grenzen willkommen“ von einer „Landkarte des Schreckens“, auf der alle Anschläge dokumentiert waren. „Es waren so viele wie nie zuvor. Vor allem: Kaum einer dieser Anschläge wurde bis heute aufgeklärt“. Eine Schande für den deutschen Rechtsstaat. Man sollte sich schämen.
Flüchtlinge sind Opfer, keine Täter, betonte gerade Bundesjustizminister Heiko Maas(SPD) in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“. Dies klarzustellen ist nicht nur vor dem Hintergrund des Kampfes gegen die Terroristen des so genannten „Islamischen Staates“ wichtig, sondern auch deshalb, will die vielen Anschläge nicht nur von Neonazis, sondern auch von Leuten aus der Mitte der Gesellschaft auf Flüchtlingsheime nicht vergessen werden dürfen. Dass dies keine Kavaliersdelikte sind, sondern Verbrechen, die man ernst nehmen muss, weil sie tödlich enden könnten, sind leider keine Selbstverständlichkeiten in dieser Gesellschaft, sondern belegen, dass die Menschen, die in ihrer Not die Heimat verlassen haben und bei uns in Deutschland Schutz suchen, hier nur in Grenzen willkommen sind. Siehe oben.
Aufklären, nicht schönreden
Man mag das ja alles nicht glauben, aber die Zahlen des BKA sind eindeutig und nicht zu widerlegen. Dass die überragende Mehrheit der Deutschen diese Anschläge verabscheut, besagt gar nichts. Sie passieren dennoch. Die Menschen, auch einige aus dem bürgerlichen Milieu, marschieren ja mit bei Pegida, auch wenn dort Hass-Töne zu hören sind, die einen erschrecken.
Es ist ja wahr: Es gibt eine Angst vor zu vielen Flüchtlingen, mit denen der Staat und seine Behörden überfordert sein könnten. Da sind die Politiker gefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die Menschen rechtzeitig zu informieren, was auf sie zukommt, ja auch, was auf sie zukommen könnte. Schönreden wäre grundfalsch. Aber Angstmache wäre noch schlimmer, sie löst gar nichts, sondern verunsichert nur und gibt den Rechtsradikalen und anderen Mitmachern den Stoff für ihre Untaten.
Natürlich kann Deutschland nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel meint doch nichts anderes und kämpft in Europa, ja weltweit für eine gerechtere Verteilung der Menschen in Not. Aber Grenzen schließen? Wie denn, mit Gewalt verteidigen, mit Stacheldraht und Hunden, mit Maschinenpistolen? Aufnehmen, um Menschenleben zu retten, um ihnen zu helfen, das ist unser Gebot. Menschenwürde.
Anschläge von Flensburg bis München
Jeder weiß, dass dies eine Herausforderung ist, die die der deutschen Einheit mindestens standhält, wenn nicht sogar übertrifft. Ja, das ist so und es ist schwierig und wird viele Anstrengungen kosten. Aber gerade Deutschland hat nach dem Krieg, den es selbst vom Zaun gebrochen hat, viel Hilfe aus aller Welt erfahren, als alles am Boden lag. Dass so etwas nicht über Nacht Erfolg haben kann, bedarf keiner Erwähnung.
Zurück zur Landkarte des Schreckens. „Die Zeit“-Redakteure haben sich auf 222 Delikte beschränkt, „deren Ziel es war, Unterkünfte zu beschädigen oder zu zerstören und/oder die darin lebenden Menschen zu verletzen oder zu töten. Aufgeklärt und bestraft wurde bislang kaum eine Tat. Ein Vergleich mit gewöhnlichen Brandstiftungen und Wohnungseinbrüchen zeigt, wie groß das Versagen der Justiz ist.“ Die Landkarte beginnt in der „Zeit“-Grafik mit Flensburg, verläuft über Bremen nach Nordrhein-Westfalen, wo Münster, Wuppertal und Altena als Tatorte genannt werden, wandert im Westen der Republik über Rheinland-Pfalz-Ludwigshafen ist erwähnt- ins Saarland und weiter nach Baden-Württemberg u.a. mit den Tatorten Wertheim und Reutlingen, im Osten schließt sich Bayern an, wo München festgehalten wird, aber auch Forchheim und Pfreimd, darüber folgen Hessen mit Fuldatal und Lauterbach, Thüringen mit Bischhagen, Sachsen ist ein Schwerpunkt der Delikte und damit auch der Karte: Heidenau, Hoyerswerda, Freital sind hier genannt, Sachsen-Anhalt bleibt nicht unerwähnt mit Magdeburg und Halberstadt, Berlin und Brandenburg finden sich auf dieser Karte des Schreckens ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen und Hamburg.
Das Schlimme und Erschreckende dabei: An starken Worten lassen es die Politiker nie fehlen „und treten mit der gesamten Härte des Rechtsstaates“ diesen Verbrechen entgegen. So Thomas de Maiziere. Aber „passiert ist fast nichts“, so die „Zeit“-Redakteure in ihrem Urteil. Die Flüchtlingsheime würden nicht ausreichend geschützt, es fehle an Wachpersonal, an Video-Überwachung, an Beleuchtung, es fehle an Polizisten. Und es fehle am politischen Willen, „energisch gegen Fremdenfeinde durchzugreifen“. Pro Asyl beklagt, so zitiert die „Die Zeit“ weiter, rassistische Motive der Brandstifter würden oft verniedlich und zu persönlichen Ängsten erklärt.
Fazit für „Die Zeit“: „Nötig ist ein breites politisches Bündnis von rechts bis links, ein nationaler Krisengipfel, einberufen vom Bundesinnenminister, verbunden mit einem politischen Signal“. Wie wäre es mit dem Wiederaufleben einer alten Idee, die auch schon des Öfteren gefordert worden ist: Mit dem Aufstand der Anständigen.
Bildquelle: Wikipedia, Fridolin freudenfett (Peter Kuley), Berlin-Siemensstadt Motardstraße, Asylbewerberheim, CC BY-SA 3.0
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