Auf der Internet-Seite der Bundeswehr kann man die laufenden Auslandseinsätze nachsehen. Es sind sage und schreibe 17 an der Zahl. Bei mindestens einem Einsatz handelt es sich um eine Kriegsbeteiligung. Ja, Merkeldeutschland ist in den syrischen Bürgerkrieg gezogen. 2016, das neue Jahr erlebt Deutschland als eine von vielen Kriegsparteien in Syrien. 1200 Soldatinnen und Soldaten, Aufklärungstornados, Tankflugzeuge und ein Kriegsschiff an die Seite Frankreichs geeilt, das Rache zu nehmen versucht für das Morden in Paris am 13. November. Und niemand redet
darüber. Nicht einmal das Parlament hat lange gefackelt, sondern gerade noch rechtzeitig, bevor das erste Militärflugzeug abheben konnte, mit riesiger, großkoalitionärer Mehrheit zugestimmt.
Da wir die Wehrpflicht „ausgesetzt“ haben, scheint sich ja niemand um Väter, Söhne, Töchter, Mütter, Brüder, Schwestern Sorgen zu machen. Die Haltung „scheißegal!“ erklärt sich aus der Abstraktheit der Gefahr und der Delegation des Risikos an Berufssoldatinnen und – soldaten, Söldner, die sich ihren Beruf selbst ausgesucht haben. Kurz vor Weihnachten sind die AWACS-Aufklärer – man könnte sie genauso gut als moderne Zielfernrohre beschreiben – ohne Parlamentsbeschluss in die Türkei aufgebrochen- um was zu tun? Kurden auszukundschaften? Auf Erdogan aufzupassen oder Erdogan gegen Kurden zu helfen, gegen die tapfersten Gegner des IS, den „wir“ ja jetzt zusammen mit Frankreich aus der Luft bekämpfen?
Kriegsbeteiligung und Aufrüstung
Kurz nach Weihnachten konnte man ganz kurz merken, dass wir im Krieg sind, als nämlich der beamtenbündische Berufsverband der Soldaten und gleichzeitig der vom Bundestag bestellte Wehrbeauftragte, ein Amt,das hauptsächlich zum Schutze der Wehrpflichtigen als parlamentarischer
Sorgenonkel der Soldaten geschaffen worden war, einhellig nach personeller Aufrüstung riefen. (Wieso ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, dass man bei „ausgesetzter“ Wehrpflicht auch das Amt des Wehrbeauftragten aussetzen könnte? Ein paar Euro für zusätzliche
Gefreite bekäme man da schon zusammen).
Kriegsbeteiligung zieht also Aufrüstung nach sich, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass dadurch auch nur ein einziger Terroranschlag verhindert werden könnte! Immer wieder haben in der Vergangenheit selbst ernannte Kriegsparteien Menschen, die tatsächlich oder vermeintlich deren Partei ergriffen hatten, das Kriegshandwerk beigebracht und sie im Zweifel auch zu Mordtaten hinaus geschickt. Erinnert sei an RAF-Mitglieder, die beim späteren Friedensnobelpreisträger Arafat an der Waffe ausgebildet wurden, um nur ein Beispiel zu nennen.
Nun also wenden sich Franzosen und Belgier „mit Migrationshintergrund“ gegen eine in Diskriminierung, Ungleichheit, Fremdenangst und Gleichgültigkeit gegenüber Elend und Armut herabgesunkene „Grand Nation“, in deren Schulen sie keine Bildung erhalten und in deren Arbeitswelt ihnen kein Platz geboten wurde. Nicht, dass das auch nur einen einzigen Mord rechtfertigen könnte; klar aber muss sein, dass die Beteiligung am Syrienkrieg an der Lage französischer Staatsbürger aus ehemaligen Kolonien in den „banlieus“ der großen frankophonen
Städte nichts ändert! Es gibt wichtigere, größere, anstrengendere und Gewalt begrenzende Aufgaben, als Bomben werfen!
Nicht nur Terror und Einwanderung
In den Syrienkrieg einzugreifen ändert auch nichts an dem Erstarken des rechtsextremen „Front National“ der Marine Le Pen. Das hat noch nicht einmal unmittelbar mit der als Ursache beschworenen Flüchtlingskrise zu tun. Ich erinnere mich noch gut, das Frau Le Pens deutlich ungehobelterer, offener antisemitischer Vater vor vielen,vielen Jahren bereits in die Stichwahl um das Präsidentenamt gekommen war oder daran, dass Städte wie Orange und südliche Departements wie der Var schon viele Jahre fest in der Hand des FN sind. Da muss es andere Gründe geben als Terror oder Einwanderung.
Tatsächlich stellt Frankreich die langjährige Vorhut der Renationalisierung Europas dar, dauerhafter, stabiler als die zwischenzeitlichen Aufreger in Kärnten oder Holland. Die sind zwar nicht verschwunden, regen aber nicht mehr auf. Holländische Rechtspopulisten treten in Dresden auf, österreichische sind neuerdings satisfaktions- mit anderen Worten: koalitionsfähig insbesondere für machtversessene Sozialdemokraten.
Und damit kommt man der Sache vielleicht auf den Grund: Ein EU-weites Phänomen besteht doch offenbar darin, dass die Kluft zwischen den politischen Eliten und dem vertretenen Volk immer größer wird. Man versteht nicht, warum die politisch Mächtigen etwas tun oder etwas anderes unterlassen. Es gibt keinen Kompass, keinen Streit über die Werte und Ziele, die einer zu treffenden oder zu unterlassenden Entscheidung zu Grunde liegen. Es gibt niemanden, der sich zum offenen Sachwalter der Interessen der Schwächeren erklärt und die politischen Konsequenzen der Erkenntnisse aus der Sozialarbeit einfordert.
Leidenschaftliche Polit-Debatten
Die bewundernswürdige Anja Reschke, Journalisitn des Jahres 2015, hat beobachtet, dass lange nicht mehr so viele und so leidenschaftliche politische Debatten zu beobachten waren wie im abgelaufenen Jahr – hinzufügen müsste man, dass es davon eine große Ausnahme gibt: „die“ Politiker…
Inzwischen gibt es einen ganzen Kranz von verniedlichend „rechtspopulistisch“ genannten Kräften in der EU – Pìs-Polen, Slowenien, Slowakei (unter sozialdemokratischer Führung), Frankreich, der Vlaams Block – inzwischen Vlaams Belang – in Belgien, Holland, Dänemark, Ungarn, Finnland, Kroatien, England, am Rande noch die Schweiz des Lieblings deutscher, öffentlich-rechtlicher Talkschows, Roger Köppel, und nicht zu vergessen, „unsere“ 10% Frauke-Petry-Pegida-AfD-NPD. Irritierend ist die enge Verwandtschaft zwischen Victor Orbans Ungarn, dem neuen Pìs-Polen und der Innenpolitik von Wladimir Putin, ob die wieder einen neuen Pakt….? Zumindest die Pìs könnte das wohl nicht offen zugeben.
Weniger irritierend sind die Ähnlichkeiten: alle können auf das Versagen vorangegangener Machtkonstellationen verweisen, die sich entweder als korrupt oder als selbstbezogen und kommunikationsunfähig entpuppt haben oder dabei sind, sich selbst zu demontieren. Insofern mag der Sonderling unter all den rechten, sich politikfeindlich aufführenden Truppen der erhellendste sein: der Ex-Clown Grillo will mit seinen Sternchen in Italien einfach jegliche Politik unmöglich machen, weil sie ohnehin keine Perspektive zeitige.
Schutzbündnis gegen Rechs
Der Frankreich-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ hat Recht, wenn er es für absurd hält, dass der eben abgewählte und der derzeit seine Unfähigkeit beweisende Präsident die Hauptkonkurrenten der nächsten Präsidentenwahl sein werden. Schon jetzt kündigt sich – wie in Holland, Belgien, Österreich- ein großkoalitionäres Schutzbündnis gegen Rechts an, das planmäßig auf Kosten und zu Lasten der jeweiligen Sozialdemokratien gehen wird. Geschützt werden soll die Demokratie, klar, aber nebenbei werden auch die Privilegien der bisher dominierenden Kräfte geschützt.
Die französischen Sozialisten beispielsweise verzichteten in der zweiten Runde der Regionalwahlen auch ohne Absprachen mit Sarkozy dort auf eigenen Kandidaten, wo der FN der lachende Dritte dieser Konkurrenz zu werden drohte. Das schwächt schon deutlich die Sozialisten in den regionalen Kammern; als nächstes – nach dem Kriegseinsatz – bewerkstelligen sie nun die Teilabschaffung der bürgerlichen Schutzrechte, wovon ein späterer Wahlsieger FN Nutzen ziehen wird.
Ich sehe für den Augenblick gar keine überzeugende Alternative dafür, dass sich demokratische Rechte und demokratische Linke zur Abwehr rechter Machtergreifung zusammenschließen; nach gelungener Abwehr müssen aber deutlich neue Seiten aufgezogen werden, Seiten, die den extremen Rechten das Wasser abgraben. Ganz sicher ist es keine erfolgversprechende Strategie, selbst nach Rechts zu rücken, in der Hoffnung, man könne dann nicht mehr rechts überholt werden. Aussichtsreicher dürfte es dagegen sein, die Ursachen der Unzufriedenheit mit den parlamentarischen Systemen und mit der EU selbst anzugehen:
Wirtschaft ist für alle da
1. Das Wachstum der Ungleichheit muss aufhören;
2. Neben zusätzlichen Bildungsanstrengungen werden sinnvolle Aufgaben auch für weniger
gebildete benötigt, von deren Erledigung ein würdevolles leben möglich ist;
3. Die politischen Akteure müssen die Grundbedürfnisse, die eine politische Ordnung zu
erfüllen hat, wieder in den Vordergrund rücken: Sicherheit, Verlässlichkeit, Stabilität und
Gerechtigkeit; sie müssen auf das Volk zugehen – nicht nur auf den Teil, der zu
Botschaftsempfängen eingeladen wird oder sich Bundespresseball-Karten leisten kann;
4. Selbst, wenn Regierungen sich nicht selten „durchwursteln“ müssen, was heute mit der doch
eigentlich bedrohlichen Beruhigungsformel „auf Sicht fahren“ beschönigt wird, müssen sie
verständlich machen, wohin sie wollen und warum dort und nirgendwo anders hin;
5. Die Werte . Wenn wir selbst nicht mehr sagen können, was uns Freiheit bedeutet, wie sollen
wir sie dann verteidigen können?
Wir brauchen keine Kriege; wir brauchen ein Ringen um neue Gewissheiten, auch wenn die ganz alt sind, wie beispielsweise: Wirtschaft ist für alle da.