Die Erklärung von Angela Merkel erneut als Kandidatin zur Verfügung zu stehen, offenbart vor allem, warum die Union derzeit um knapp 30 Prozent Zustimmung vagabundiert. Gewiss, gleichzeitig haben die Sympathiewerte der Kanzlerin angezogen. Das aber hat wohl mehr damit zu tun, dass sie als Person nicht als störend empfunden wird. Nichts von dem, was sie tut, wirkt aufregend. Eher regt auf, welchen Themen sie aus dem Weg geht.
Allerdings kann sie sicher sein, dass dies nur wenigen Medien auffällt. Dafür sind die Medien überwiegend ein guter Echoraum für das, was Angela Merkel sich zu Gute hält. Beispiel die abnehmende Arbeitslosenquote und das solide Wirtschaftswachstum. Mit anderen Worten, wann ging es den Deutschen je so gut, wie unter Merkel? Also ist wohl nichts berechtigter, als mit ihr in eine vierte Amtszeit zu gehen.
Kein Wort zur transatlantischen Krise
Aus ihrer Erklärung geht nicht hervor, wie sie auf die mit Trump deutlich gewordene transatlantische Krise reagieren will. Wie zugleich die Bruchlinien Europas gestoppt und neue Zuversicht in Brüssel einkehren soll. Mit ihr allerdings werde die Digitalisierung in Deutschlands vorangetrieben, um die wirtschaftliche Kraft des Landes auch zukünftig zu stärken.
Nicht ein Wort zur Kehrseite dieser Themen, die alles andere als leicht zu bewältigen wären. Es scheint, dass Helmut Kohl ihr Vorbild bleibt, auch dafür, dass der absolute politische Stillstand, den seine vierte und letzte Amtszeit auszeichnete, und er einen gigantischen Reformstau hinterließ. Auch ihre Ankündigung, wieder anzutreten, zeigt in keiner Zeile, dass sie die Absicht hätte, das Publikum mit notwendigen Reformanstrengungen zu irritieren.
Ein Rekord an prekären Jobs
Beispiel: die von ihr als positiv beschriebene Lage auf dem Arbeitsmarkt, die sie sich anrechnet. Kein Wort darüber, dass sie mit einem Rekord an prekären Arbeitsplätzen und unterbezahlter Leiharbeit ermöglicht wird. Ein Umstand, der dazu beiträgt, dass die Reporter für ARD und ZDF, die von der Börse in Frankfurt am Main berichten, nicht hindert, die positive Wirtschaftslage zu loben und ebenso die abnehmenden Zahlen der Arbeitslosenstatistik kritiklos zu verkünden. Für Millionen Zuschauer und Hörer sind das Berichte aus einer Welt, die mit ihrer Wirklichkeit und der Wirklichkeit der ebenso zunehmenden Zahl von Arbeitnehmern auf Mindestlohnniveau, nichts zu tun haben. Auch diese verbogene Wahrnehmung mancher Medien befruchtet den Ruf: „Lügenpresse!“ Die AfD lässt grüßen.
Auch die kritiklose Ankündigung von Merkel, die Digitalisierung des Wirtschaftsraums schleunigst in Angriff zu nehmen, stärkt die Vermutung, dass da etwas auf die Menschen zurollt, dem sie ausgeliefert werden, ohne dass eine Anstrengung sichtbar wird, mit den denkbaren sozialen Folgen angemessen umzugehen. Sowohl die Wissenschaft, aber durchaus auch schon einsichtige Wirtschaftsführer sprechen sich dafür aus, über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken, um den erwarteten Verlust von Arbeitsplätzen durch Computer und Robotertechnik auszugleichen.
1,5 Mio traditionelle Arbeitsplätze weniger
Nach einer Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit werden in Deutschland 1,5 Millionen traditionelle Arbeitsplätze verschwinden – Lokomotivführer, Telefonisten, Fabrikarbeiter – und durch eine gleich große Zahl von anspruchsvollen Computerbedienjobs ersetzt. Das bedeutet erst recht: Fortbildung, Fortbildung und noch mal Fortbildung.
Aber dennoch werden nicht alle Menschen mithalten können. Schon produziert unser überfordertes Bildungssystem mehr als acht Millionen funktionale Analphabeten und eben so mehr als zwei Millionen bildungsferne Jugendliche. Auch sie brauchen Hilfe und es braucht eine Bildungsreform, die wirklich alle Kinder meint und mitnimmt.
Mit ihrer Ankündigung, sich um eine weitere Amtszeit zu bewerben, hat Merkel den Wahlkampf eröffnet. Wenn die SPD gut beraten ist, wird sie ein Programm entfalten, dass Antworten auf die Fragen gibt, die Merkel verschweigt. Der politische Stillstand der letzten Jahre wird, wie vermutlich mit ihm die letzte Große Koalition endlich ein Ende haben. Schon damit der rechte Rand nicht noch stärker wird, dessen Terror bereits bis vor die Flüchtlingsunterkünfte reicht und zunehmend auch die bedroht, die sich gegen ihn stellen.