Ja, die „Lokalzeit“ des WDR-Fernsehens in Köln hat sich mal wieder etwas ganz ganz Tolles einfallen lassen. Das super Mitmach-Motto hieß: „My Selfie Weekend“. Über Pfingsten durften die ZuschauerInnen jetzt ganz umsonst die private Gestaltung ihrer Freizeit zu einem echten Hit für die große weite Welt sich so großartig mit ihren mobilen Endgeräten zusammen basteln, dass sie – wenn ihre super Strahlkraft perfekt genug daherkommt – endlich auch ins Fernsehen kommen. Also, wenn sie witzig genug sind, also Aufwand ist vonnöten, kein Durchschnitt bitte, sonst Null Chance, strengt euch gefälligst an. Und so werden kostbare Sendeminuten extrem billig mit Selbstgemachtem aus fleißiger ZuschauerInnen-Hand gefüllt. Ganz „basisnahe“ Teilhabe oder was?
Wie weit soll denn die Verarschung durch die öffentlich-rechtlichen Sender noch gehen? Sollen besonders die jungen Leute mit ihrem elektronischen Spielzeug in einer manischen Unentwegtheit beschäftigt werden? Damit sie nicht auf „dumme Gedanken“ kommen, also vielleicht mal in ruhigen Minuten manches in unserer panischen Spaßgesellschaft infrage stellen könnten, die Hände einfach mal in den Schoß legen? Von wegen! „So much fun, Wahnsinn.“ , rufen sie begeistert. Genau, leider wirklich wahnsinnig scheint inzwischen vieles an diesen medialen „Angebotsdrogen“, ergänzen sich doch die animateurhaften Orders der Moderation mit den knallig ätzenden Imperativen der Werbespots.
Gerade die Jungen, deren hellsichtige Skepsis gegenüber Anmaßungen jeglicher Art doch nicht selten auch kritikfähige Widerstandskraft bedeutet hatte, spielen mit im egozentrischen Reigen der schrillen marktkonformen Rituale. Wie in totalitären Systemen werden unsere Kids und – inzwischen umstandslos auch zur Infantilisierung neigende Erwachsene mit jeder Menge Unterhaltungsangeboten vom Denken abgelenkt.
Jedoch nicht nur ihre Denkfähigkeit wird knallbunt in „Gut Drauf- Actions“ absorbiert. So wird gleichzeitig auch ihre persönliche Gefühlswelt kalt kalkuliert entkräftigt. Cool sein um jeden Preis ist angesagt. Cool – was heißt das? Das individuelle Mitfühlen bleibt gefährlich auf der Strecke, es verkommt die wesentliche humane Fähigkeit eines anteilnehmenden Denkens. Und diese Art von Schmalspur-Zeit-Vertreib wird jetzt auch wider alle Vernunft vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen betrieben. Nachdenken über soziale Zusammenhänge ist ja sowas von out! Und eine Redensart im Jargon der Kids wird immer beliebter: „Keine Ahnung“, heißt es andauernd und blöd achselzuckend, von gleichgültigem Grinsen begleitet.
Wohin soll das führen? Wissen Chefredakteure eigentlich Bescheid, was auf den niederen Ebenen des lokalen Fernsehens schleichend sich abspielt? Sehen sie nicht, dass die von allen Bürgerinnen brav finanzierten Programme immer mehr am Gängelband der Unterhaltungs – Industrie in oberflächlichste Beliebigkeit abgleiten? Tagtäglich. So viel Realitätsverlust bei den intelligenten Eliten der Sender? Das kann doch nicht wahr sein! Ich frage – wann wachen Sie auf – wann übernehmen Sie wieder Ihre Verantwortung? Erschreckend ist allerdings die inzwischen zum Teil überbordende Bereitschaft des Publikums, auf diese billigen Pseudo -Partizipationsangebote „mir nichts, Dir nichts“ einzusteigen, als hätten sie gerade nur darauf gewartet, um eventueller Langeweile in ihrer freien Zeit zu entgehen.
Ach, und sie könnten ja auch traurig werden, gar fassungslos. Bloß den „rasenden Stillstand“ am eigenen Leib nicht zu spüren kriegen. Als sei der turbokapitalistische Tempowahn vom Himmel gefallen, als hätten die Medien in ihrer Dealer-Funktion keinerlei Anteil am Niedergang auch von Charakterstärke. Permanent und panisch mit den iPhones unterwegs, der autistisch starre Blick aufs Display, die Finger pausenlos am tippen, nur ja nicht in die Welt kucken, nur ja nicht ernsthaft zuhören müssen, was das Gegenüber vielleicht mitteilen möchte. Lieber das „geile“ Gerät munter in die Gegend halten, überaus gut gelaunt die eigene Umgebung zum richtigen Film hochladen.
Wie am Schnürchen funktionieren diese hochmodern ausgerüsteten Leute, technisch versierte Freizeitprofis, sie tun, was von ihnen verlangt wird, sie kaufen das Neueste, sie werfen das nicht mehr Neue fast verächtlich auf den Müll, sie beweisen äußerst erfolgsorientiert ihre flexible Kompatibilität mit den Zumutungen des Marktes. Und die weiteren Aussichten solchen Marionetten-Verhaltens… Nicht auszudenken.
Und doch: was wäre doch alles möglich an sinnvoller Kommunikation. Nicht nur der oft mühsame Alltag braucht unterstützende Anregung, auch unbedingt wieder ANALOG. Also: Was tun gegen bröckelnde Schulen? Ganz real kaputtgehende öffentlich nützliche Gebäude? Warum werden so viele Menschen bei uns immer dicker? Und somit ganz real krank! Wie umgehen mit schulmüden Kindern? Wie umgehen mit den nervös Gemachten? Noch mehr Tranquilizer? Noch mehr Antidepressiva für die „Erniedrigten und Beleidigten“? – auch sie sind real und anwesend. Oder: Darf es ein Schlückchen mehr sein? Wie denken und fühlen die Bewohner zum Beispiel in NRW angesichts der weltweiten Krisen? Was wissen wir über die realen Ursachen, über die Machtinteressen der Scharfmacher? Wir spüren doch alle diese Bedrückung angesichts der brutalen globalen Entwicklungen. Wir fühlen uns ohnmächtig und ratlos.
„Was tun?“ Darüber ins Gespräch zu kommen, offen und öffentlich, und bitte etwas ausführlicher, das wäre doch sinnvoll. Gerade über mangelnde Orientierung wäre dringend zu reden, um die Angst beim Namen zu nennen, die ja nur scheinbar ein unaussprechlicher Zustand ist, der angeblich nur einzelne „Sensibelchen“ überfordert, in Wirklichkeit aber uns alle betrifft. „Wir sind das Volk.“ Dieser energiegeladene Ausruf ist legendär, hat aber nicht nur eine historische Bedeutung. Es gibt ja auch jetzt dieses Wir! Nicht zur Wahl gehen war und ist allerdings das Dümmste. Jedoch: es ist und bleibt für die Bewohner unseres Landes geradezu gefährlich, die Fragen nach lokaler und globaler Gerechtigkeit nur machtfixierten PolitikerInnen zu überlassen – in der Tat!
Wählen heißt auswählen. Besinnen wir uns auf eine „konkrete Utopie“, nach dem Motto: „Wenn ich mir was wünschen dürfte…“ Humanität sollte hier, in unserem lebendigen Alltag stattfinden. Und dazu brauchen wir genau jene Kommunikation, die der öffentlich rechtliche Rundfunk den ihn finanzierenden BürgerInnen zur Verfügung stellen die Verpflichtung hat! Die Aufgabe der Programm-Macher: im konkreten Dialog mit den ZuschauerInnen unsere realen Handlungs-Spielräume praktisch zu erweitern, zur AUFKLÄRUNGSLUST zu ermuntern! Wie das geht? Am besten vor Ort, am besten dialogisch: BürgerInnen stellen allerhand „Warum-Fragen“ an die JournalistInnen, ja, und PolitikerInnen fragen die BürgerInnen mal live über den Sender, was Ihnen so fehlt, also, sie er-kundigen sich persönlich nach dem Wohl und dem Wehe an der Basis!
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