FDP-Chef Christian Lindner, so die Formulierung am Morgen bei WDR2, habe am Sonntagabend um 23.58 Uhr den Stecker gezogen, das Licht ging aus für eine mögliche Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, der FDP und den Grünen. Lindner als der neue Macher in der Hauptstadt? Es sei besser nicht zu regieren als schlecht zu regieren, so hatte der die Sondierungen beendet, was viele überrascht habe. Donnerwetter, das hätte man einem Liberalen nicht zugetraut, dem Drang zu den Fleischtöpfen zu entsagen. Mehr noch hat der Freidemokrat gemacht: Angela Merkel hat er die Machtzügel aus den Händen gerissen, die Kanzlerin stand plötzlich mit leeren Händen da.
Dass Lindner den Stecker gezogen habe, sei der Führungsschwäche von Merkel geschuldet, so Unionskreise, die schon seit längerem der Vorsitzenden und ihrem Kurs kritisch gegenüberstehen. Während der wochenlangen Debatten in den Sondierungsrunden von Union, FDP und Grünen sei kein einziger CDU-Grundsatz erörtert worden. Liberale und Grüne hätten mehrfach um Positionen gestritten und Kompromisse erarbeitet, hätten von Schmerzgrenzen gesprochen, die erreicht seien, von der CDU-Seite sei nichts gekommen, nicht mal Steuerpapiere. In der so wichtigen Rentenpolitik habe man beschlossen, eine Kommission zu bilden, über Inhalte kein Wort.
Die CDU habe unter Merkels Führung über Jahre ihre gesamte Programmatik über Bord geworfen, kaum jemand wisse, wofür man noch stehe. Inhaltliche Fragen hätten Merkel so gut wie nie interessiert, Hauptsache sei für sie gewesen, dass sie weiterregieren könne. So habe sie ja auch das Wahldesaster nach der letzten Bundestagswahl im Grunde als Kleinigkeit abgetan, weil sie ja davon ausging, dass sie Kanzlerin bleiben werde. Dabei seien die Verluste fast genauso dramatisch gewesen wie die der SPD, nur noch auf einem höheren Niveau. Man habe viele Wähler verloren, weil die CDU inhaltlich nicht mehr erkennbar gewesen sei.
Merkel habe offensichtlich geglaubt, die Sondierer von FDP, CSU und Grünen würden sich müde verhandeln und wenn alle erschöpft gewesen wären, hätte ihre Stunde als die Kompromiss-Königin geschlagen. So habe sie es schon immer gehalten und auf Zeit gespielt, nie selber inhaltliche Fragen in den Mittelpunkt der Debatten gerückt. Fast immer sei sie im Ungefähren geblieben. Jetzt habe sie die Quittung bekommen. Sie habe es auch versäumt, ihre Partei personell neu aufzustellen. Niemand wisse, wie es jetzt weitergehe.
Karrikatur, Bildrechte Heiko Samurai