Das Lob einiger Journalisten für Merkel kam verfrüht. Aus dem Parteitag in Essen gehe die Kanzlerin „durchaus gefeiert und gesalbt in den Wahlkampf“, schrieb Heribert Prantl, Kommentator der SZ am Tag nach ihrer Wiederwahl. Es klang fast so, als wollte sich der Autor vor schierer Bewunderung gar nicht mehr einkriegen. Schon wird sie als die ewige Kanzlerin gepriesen wie ein Helmut Kohl, das ewig sei kein Ausdruck des Überdrusses, Merkel die Personifikation von Stabilität, ein Pfund der CDU im Wahlkampf.
So haben wir das vor Jahren zu Zeiten von Helmut Kohl auch gehört und gelesen. Der schwarze Riese galt als unbesiegbar, beinahe die ganze Enkel-Generation der SPD von Willy Brandt arbeitete sich an Kohl als Kanzler ab und musste als Verlierer den harten Platz auf den Oppositionsbänken einnehmen. Bis Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine aufliefen und sich zusammentaten. Rudolf Scharping wurde auf dem Parteitag in Mannheim 1995 gestürzt, so was hatte die Satzung der Partei gar nicht vorgesehen. Man nannte das einen Putsch. Damals lag die SPD bei etwa 23 Prozent in den Umfragen und kaum jemand wettete auch nur einen Pfennig auf den Sieg der SPD.
Als Lafontaine in der SPD die Zügel übernahm
Aber Lafontaine, der Ministerpräsident des Saarlandes, übernahm die Führung der SPD und überließ dem noch erfolgreicheren Regierungschef aus Hannover die Kanzlerkandidatur. Man vergisst das leicht, wie aussichtslos das Rennen damals schien. Und dem als ewiger Kanzler über Jahre gefeierten Mann aus Oggersheim gefiel es. Er dachte nur kurz daran, Wolfgang Schäuble als seinen Nachfolger auszurufen, nahm das Wort zurück und blieb im Amt. Wie Buddha saß er da, so beschrieb ihn damals Joschka Fischer, der Grünen-Politiker. Ein Bild, das jetzt im Zusammenhang mit Merkel wieder auftaucht. Der ewige Kanzler Kohl, der aus der Pfälzer Provinz nach Bonn gekommen und oft belächelt worden war, der aber über ein ausgesprochenes Machtbewusstsein verfügte und mögliche innerparteiliche Konkurrenten ins Land geschickt hatte, damit sie dort reussierten und ihn in Bonn in Ruhe regieren ließen.
Der Vergleich hinkt wie alle Vergleiche hinken. Aber Lafontaine gelang es Mitte der 90er Jahre, mit Hilfe der SPD-Ministerpräsidenten-Riege eine Opposition aufzubauen, gegen die Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel nicht regieren konnten. So scheiterte eine geplante Steuerreform Waigels am Widerstand des von den SPD-Regierungschefs in den Ländern dominierten Bundesrats. Lafontaine ließ ein Freikaufen nicht mehr zu. So hatte man das in der Vergangenheit oft spöttisch genannt, wenn Kohl SPD-Ministerpräsidenten oder Bürgermeister ein Geschäft anbot und die sich im Gegenzug in der Länderkammer bei entsprechenden Vorhaben der Stimme enthielten und damit ihrer eigenen Partei den Sieg über Kohl vermasselten. Erst das Land, dann die Partei, so die Parole.
Kohl war die CDU, die CDU Kohl
Kohl war damals stark in der CDU, was heute leicht ignoriert wird, weil der langjährige CDU-Chef auch bedingt durch die Spendenaffäre und Krankheit inzwischen in Vergessenheit geraten ist. Kohl war die Partei, die Partei war Kohl, er hatte sie im Griff und steuerte sie. Kohl wusste immer vorher, wenn jemand etwas gegen ihn oder seine Regierung im Schilde führte. Man denke an Heiner Geißler und all die anderen wie Lothar Späth, die Kohl 1988 um den Parteivorsitz bringen wollten. Kohl wurde das zugetragen, die Folge für Geißler war, dass Kohl ihm im Vorfeld des Bremer Parteitags mitteilte, er, Helmut Kohl, der CDU-Chef, werde Geißler nicht mehr als seinen Generalsekretär vorschlagen. Geißler war baff, aber so geschah es. Übrigens wurde auch Späth auf diesem CDU-Treffen abgestraft.
Dass Merkel auf dem gerade zu Ende gegangenen Parteitag der Union in Essen erst spät gemerkt hat, was die Junge Union vorhatte, nämlich die doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer zu kippen, hat viele überrascht. Und dass sich einer der jüngeren Führungsleute der CDU, wie Jens Spahn, immerhin parlamentarischer Staatssekretär bei Wolfgang Schäuble, an die Spitze dieser Nein-Bewegung gesetzt hat und dem Antrag der Jungen Union zur Mehrheit verhalf, das glich schon fast einer Sensation. Merkel selber, auch dies fiel auf, griff erst gar nicht in diese Debatte der CDU ein. Ahnte sie, was da kommen würde, oder hat sie einfach gekniffen? Wollte sie nicht riskieren, im Plenum des Parteitages gegen den Antrag zu reden, weil sie fürchtete, zu verlieren? Dass sie erst nach Ende des CDU-Kongresses zu den Fernsehsendern eilte, um dort ihr Missvergnügen über diesen Beschluss, der sich gegen Flüchtlinge richtet, mitzuteilen, ließ manchen Beobachter aufhorchen. Sie werde das Nein zum Doppelpass nicht in ihre Regierungsarbeit einbauen, was auch schwierig würde. Die SPD hat durch ihren Parteichef Sigmar Gabriel sofort betont: Mit uns nicht!
Mehrheit gegen Merkels Willkommenskultur
Dieser Beschluss, der im Grunde das I-Tüpfelchen der Kritik aus den Reihen der Union gegen Merkels Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen bedeutet, kann noch weitere Folgen haben. Zunächst diese, dass die Mehrheit der eigenen Partei nicht mehr geschlossen hinter einem wesentlichen Punkt der Regierungsarbeit von Kanzlerin Merkel steht. Das bekommt sie jetzt schon durch Äußerungen ihrer eigenen „Parteifreunde“ zu spüren, die nicht kommentarlos hinnehmen wollen, wenn Parteitagsbeschlüsse von der Chefin ignoriert werden.
Auffallend war, dass zum Beispiel ein anderer aus dem Führungszirkel der CDU, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, den Beschluss gegen den Doppelpass als falsch bezeichnet hat. Ausgerechnet Bouffier, der damals, 1998/1999, Schröder war gerade Kanzler, einer führenden Männer um seinen Amtsvorgänger Roland Koch war, die die umstrittene Unterschriften-Aktion gegen den rot-grünen Doppelpass-Plan inszeniert hatten. Schon vergessen? „Wo kann ich gegen Flüchtlinge unterschreiben?“ Mit dieser Frage stürmten die Freunde Kochs und Bouffier zu den Unterschriften-Ständen. Bouffier kann sich einen solchen Beschluss gar nicht leisten. Er regiert mit den einst ganz linken hessischen Grünen unter Tarek al Wazir seit Jahr und Tag lautlos und erfolgreich, weil der CDU-Politiker selber Kreide gefressen hat. Er gilt längst als moderat, kommt mit den Grünen gut zu Recht, kein Streit weit und breit, weil Bouffier im Stile eines Landesvaters das Land regiert. Selbst der Flughafen ist kein Streitthema war, früher drohte dort fast ein Bürgerkrieg um die Startbahn West. Aber die Grünen haben in der Regierung gelernt, dass der Flughafen mit allem Drum und Dran Hessens größer Arbeitgeber ist.
Grüne lehnen Unions-Pläne ab
Der Doppelpass kann Merkel auch deshalb nicht gefallen, weil sie ja beschlossen und verkündet hat, bei der nächsten Bundestagswahl erneut anzutreten. Wenn man davon ausgeht, dass beide Volksparteien, die CDU wie die SPD, nicht die große Koalition fortsetzen wollen, weil sie beiden Parteien schadet und der AfD Zulauf beschert, bleibt Merkel als Koalitionspartner im Grunde nur Bündnis 90/Die Grünen. Aus deren Führungsspitze kamen schon ablehnende Kommentare, sollte die Union auf die Abschaffung des Doppelpasses bestehen.
CDU düpiert Merkel, so der Titel des Aufmachers der SZ am Donnerstag. Ein gefundenes Fressen für die SPD. Justizminister Heiko Maas bezeichnete den Beschluss als „riesigen Rückschritt für die Integration“. Die einzige Partei, mit der die Union die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft durchsetzen könne, sei die AfD. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, bescheinigte der CDU, sie verlasse „gerade aus Angst vor der AfD den Kurs der Vernunft und des Anstands.“ Merkels Wunsch, die CDU solle bitte schön mit diesem Thema nicht Wahlkampf machen, wie sie es schon mal gemacht habe, dürfte nicht in Erfüllung gehen.
Im Zenit geht es immer abwärts
Wenn jemand im Zenit steht, also auf dem Höhepunkt angelangt ist, kann es nur noch abwärts gehen. Auch dies kann man nachlesen bei Helmut Kohl, der am Ende seiner vierten Legislaturperiode abgewählt wurde. Wenn die Union die nächste Bundestagswahl im September 2017 so erfolgreich bestreitet, dass Angela Merkel als Kanzlerin wiedergewählt wird, beginnt für Merkel die vierte Amtszeit als Kanzlerin. Länger hat es noch keiner geschafft, nicht mal Konrad Adenauer, der mitten in der 4. Legislatur das Zepter der Macht an seinen Nachfolger Ludwig Erhard abgeben musste.
Und um noch einmal auf den Essener Parteitag zurückzukommen: An Überdruss wegen der Merkelschen Flüchtlingspolitik herrschte kein Mangel.
Bildrechte: Heiko Sakurai
Zur Person: Der mehrfach ausgezeichnete Karikaturist kommt aus dem Ruhrgebiet, er lebt in Köln und zeichnet u.a. für die WAZ, den Bonner Generalanzeiger, die Berliner Zeitung, den Kölner Stadtanzeiger, die Schwäbische Zeitung.
Einen Kanzler oder Kanzlerin wird hier in der BRD nicht gewählt, sondern mit Genehmigung der US- Regierung eingesetzt. Das haben scheinbar einige Mainstream Blätter nicht mit bekommen. Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.
Was war noch mal mit der Pressefeiheit – ach so? Ja! Pressefreiheit ist nicht gleich Meinungsfreiheit, da Pressefreiheit eigentlich Kapitalfreiheit ist.
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“Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.”
Karl Marx
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