Unzufriedenheit und Enttäuschung über inhaltliche Entscheidungen der Partei sind Ursachen für den anhaltenden Mitgliederschwund bei der SPD. Aber auch organisatorische Mängel und Stilfragen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das geht aus zwei politikwissenschaftlichen Studien der Universität Duisburg-Essen hervor. „Der SPD laufen seit einigen Jahren die Mitglieder weg“, heißt es im Resümee, und: „Daran ist sie teilweise selbst schuld.“
„Der Trend zeigt eindeutig nach unten“, sagt Professor Dr. Nicolai Dose. Er hat mit Anne-Kathrin Fischer und Nathalie Golla die Mitgliederstruktur bei den Sozialdemokraten analysiert. Mitte der 1970er Jahre gehörten der SPD noch über eine Million Männer und Frauen an, aktuell sind es rund 460.000. Das Durchschnittsalter ist hoch. 2014 betrug es 59 Jahre. In Zukunft werde die Partei daher vor allem aus „natürlichen“ Gründen schrumpfen. Es sterben mehr als nachkommen. Im Jahr 2040, so die Prognose, werde die SPD „wohl nur noch auf 200.000 Mitglieder kommen“.
Dennoch sagt Dose: Die Entwicklung lässt sich umkehren. „Der Mitgliederschwund bei den Sozialdemokraten ist nicht gottgegeben.“ Mit „mehr Transparenz und echter innerparteilicher Demokratie könnte die SPD attraktiver werden.“ Hierzu schlagen er und sein Team eine Reihe von Maßnahmen vor: etwa die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auf Bundes- und kommunaler Ebene zu stärken, Alternativen zur klassischen Mitgliederversammlung zu finden und ein wirksames Umzugsmanagement aufzubauen. Wichtig wäre es außerdem, Mitglieder zu qualifizieren, die sich mehr engagieren wollen, aber aufgrund ihrer Unerfahrenheit unsicher sind. Anne-Kathrin Fischer: „Nur wer sich etwas zutraut, bringt sich aktiv ein.“
706 von insgesamt 1914 Mitgliedern der SPD im Unterbezirk Siegen-Wittgenstein haben die Duisburger Politikwissenschaftler schriftlich befragt und mit 61 ausgetretenen Sozialdemokraten persönliche Interviews geführt. Vielen stoße „vor allem die Art, wie Entscheidungen innerhalb der Partei getroffen werden, sowie das schlechte Konfliktmanagement auf“, sagt Fischer. Man empfinde die offiziellen Mitgliederversammlungen als ermüdend, wichtige Entscheidungen, so äußerten viele Befragte ihren Eindruck, würden in Hinterzimmern getroffen.
Die „Agenda 2010“ und die „Basta-Politik“ während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder haben zahlreiche SPD-Mitglieder veranlasst, ihr Parteibuch zurückzugeben, sagt Fischer im Gespräch mit dem Blog der Republik. Für sie war der sozial- und arbeitsmarktpolitische Kurswechsel ein „Verrat der Grundideale ihrer Partei“. Entscheidungen auf der Bundesebene sind auch ein häufiger Grund, wenn 42 Prozent der SPD-Mitglieder schon einmal über einen Parteiaustritt nachgedacht haben. Etwa die Hälfte davon haderte mit Entscheidungen der SPD im Bund.
Die tatsächlich Ausgetretenen bemängeln der Wissenschaftlerin zufolge insbesondere die ausgeprägte Machtorientierung und die wenig demokratischen Strukturen innerhalb der Partei. Aus diesen Gründen könnten sie sich nicht länger mit der Bundes-SPD identifizieren. Aber auch in den Ortsvereinen liegen Ursachen für den Mitgliederschwund. Einige Mitglieder gehen den Studien nach „versehentlich verloren“, etwa weil sie umziehen. „Werden sie im neuen Ortsverein nicht integriert, treten sie später häufig aus.“
Der ländliche Raum des Untersuchungsgebiets Siegen-Wittgenstein weist nach Einschätzung der Forscherin einige Besonderheiten auf, so dass sich ihre Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf alle SPD-Unterbezirke übertragen lassen. Bei der Zusammenlegung von Ortsvereinen, wie sie auf dem Land häufiger vorkommt als in der Stadt, entstehen „Unmut“ und „Konflikte“, die Parteiaustritte nach sich ziehen. Neumitglieder, die nicht integriert würden, seien „frustriert“. Vor allem an der Basis sieht Fischer beträchtliches „Aktivierungspotenzial“.
Das zu heben, müht sich auch die NRW-SPD. Der Landesverband verstärkt im Vorfeld des Landtagswahlkampfs seine Anstrengungen zur Mitgliederwerbung. Im Unterbezirk Ennepe-Ruhr steht gerade eine entsprechende „Funktionärskonferenz“ an. Die SPD sei „Mitgliederpartei und will es bleiben“, heißt es in der Einladung. Und: „Jedes neue, jedes zusätzliche Mitglied erhöht unsere politische Gestaltungskraft.“ Die Resonanz ist, wie man hört, zurückhaltend. Die Bereitschaft, für die parteipolitische Kerrnerarbeit Freizeit und Energie zu opfern, lässt insgesamt nach. Das ist Soziologen und Parteienforschern zufolge ein gesellschaftlicher Trend, der nicht allein die SPD trifft.