„Unsere Geschichte lehrt uns, welche folgenreichen Irrtümer wir einzuschlagen bereit sind. Widerstandslos hat sich die zarte Pflanze Vernunft immer wieder unter den Rasen pflügen lassen. Lasst uns dafür sorgen, dass in unserem Land endlich die Vernunft siegt und Aufklärung sich ausbreitet wie eine heilsame Epidemie! Noch liegt die Wahl bei uns“! Günter Grass
Bonn, im Dezember
Vor genau sechzig Jahren veröffentlichte der Schweizer Publizist Fritz Rene´ Allemann sein damals viel beachtetes Buch. „ Bonn ist nicht Weimar“. Der Autor stellte die These auf, dass die neue Bonner Demokratie keine Chance habe, zu einem neuen Weimar zu werden: Weil bei der Arbeit am Grundgesetz fast alle Fehler der Weimarer Demokratie berücksichtigt wurden, habe man auf die damalige Verfassungswirklichkeit meist negativ Bezug genommen: Fast alle präsidialen und plebiszitären Bestandteile der Weimarer Verfassung seien ignoriert, die Regierungsgewalt gegen die Volksgewalt verstärkt und die Exekutive wie die Legislative durch richterliche Kontrolle enger an die Verfassung gebunden worden.
Rechtsradikalen ging der Atem aus
Der Autor konstatierte, dass es in der Bundesrepublik etwas gab, was in Weimar nie existierte: Eine demokratische Alternative, der kaum ernsthaft widersprochen wurde. Bei aller Bitterkeit der parteipolitischen Kämpfe zwischen Regierung und Opposition sei der demokratische Staat nie in Frage gestellt worden. Die fast tödliche „innere und äußere Sezession ganzer Volksschichten“ gegenüber der labilen Weimarer Republik habe nicht stattgefunden. Allemann nannte die Bundesrepublik einen „ hingenommenen Staat“, der unter den Deutschen zwar keine überschwängliche Begeisterung auslöste, dessen Macht aber derart gefestigt war, dass sich antidemokratische Feinde bei ihren Unterwanderungsversuchen demokratisch tarnen mussten. Tatsächlich bestätigten fast sämtliche Wahlen, dass den rechtsradikalen Parteien bald der Atem ausging und sie nach kurzer Frist im Nichts versackten.
Heute erodiert das System. Viele Bürger sehen sich mit ihren Anliegen und Ängsten nicht mehr vertreten. Die Politik erfülle das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und staatlicher Kontrolle, nach Heimat und Identität nicht mehr, behaupten jene Rechten, die man gerne als Populisten bezeichnet. Besonders der Wahlsieg von Donald Trump hat die Welt mit einem Schlag verändert. Ausgerechnet sein spektakulärer Erfolg stellt plötzlich die Überlegenheit der westlichen Welt infrage, die viele für ein Gesetz der Geschichte gehalten haben. Besonders die deutsche Politik reagierte alarmiert und besorgt. „Vielleicht haben wir zu lange geglaubt, die Demokratie sei so wirkmächtig, so überzeugend, so strahlend, dass man ihren Siegeszug nicht aufhalten könne“,meint Ursula von der Leyen und befürchtet , die Demokratie könne sogar vor die Hunde gehen, wenn sich die Demokraten ihrer Sache nicht sicher sind.
Echo der USA-Wahl hallt lange nach
Aus Amerika, wo das Echo dieser Wahl lange nachhallt, dringt es ähnlich besorgt herüber: „ Die moderne, liberale Demokratie hat ein Problem: Sie bietet zwar wirtschaftlichen Erfolg und Sicherheit, aber sie stiftet weder Stolz, noch Gemeinschaft und Identität“. So der amerikanische Politologe Francis Fukuyama, der von Trumps Triumph ebenso überrascht wurde wie seine Kollegin Eva Horn , Gastdozentin an der Columbia-Universität von New York, die im Namen vieler Enttäuschter bekannte: „ Ich fürchte, wir – die liberalen Durchblicker diesseits und jenseits des Atlantik, deren heimliche Hauptstadt New York ist- wir haben jeden politischen Durchblick verloren. Wir haben Trump genauso wenig kommen sehen wie den Brexit- von Hofer, der AfD oder einem möglichen Durchmarsch des Front National ganz zu schweigen. Wir haben uns aufs hohe Ross des Liberalismus gesetzt, Trump als Sexisten und Rassisten abgetan und über seine Wähler als dumme, weiße Männer ohne Collegeabschluss gelästert. Wir glaubten zu wissen, was gut für die Leute ist und wie sie gefälligst im eigenen Interesse denken und wählen sollen“.
Dieser Seufzer ist vielleicht symptomatisch für den allgemeinen Katzenjammer, der nicht nur Hillary Clinton und die Demokraten, sondern die meisten, auf „ diversity“ fixierten US-Bürger erfasste , die sich eingestehen müssen, das mit der Trump-Wahl auch das Ende des grenzenlos postulierten „ Identity-Liberalismus“ eingeläutet wurde.
Warum die Katastrophenstimmung?
Was lehrt uns Trumps Sieg? Was ist die Herausforderung in Deutschland? Ist die Katastrophenstimmung angebracht, die manchen derart erfasste, als stünde bereits der Weltuntergang bevor? Folgt man Thesen von Jakob Augstein, dann ist in den USA sogar ein Mann zum Präsidenten gewählt worden, dessen Siegeszug Erinnerungen an den Faschismus der Zwanziger Jahre weckt: „Faschismus. Das Wort hatten wir lange nicht. Alle reden von Rechtspopulismus –blanke Verniedlichung. Donald Trump ist kein Rechtspopulist-er ist ein Faschist. Marine Le Pen ist keine Rechtspopulistin-sie ist eine Faschistin. Und was Frauke Petry ist, das werden wir noch sehen“.„
Der Publizist Josef Joffe sieht in der DER ZEIT die Wahl Trumps als ein großes Erdbeben, das die ganze Welt erschüttern werde und vergleicht „ Trumpator“ schlicht mit Mussolini: „ Es hilft nichts. Angesichts der Verheerung müssen wir uns das Beben schön reden, obwohl man dabei viel Fantasie aufbringen muss .Denn dieser Mann, der die Republikanische Partei gekapert hat, meint, was er sagt. Folglich könnte er sehr wohl im Weißen Haus anrichten, was er seinem Wahlvolk immer wieder eingehämmert hat. Grob zusammen gefasst, hat er angekündigt, die Gewaltenteilung auszuhebeln, die Medien zu unterwerfen und eine Außenpolitik zu schreddern, die Amerika zur Ordnungsmacht befördert hat. Der Mann ist ein Wiedergänger Mussolinis, aber freundlicherweise ohne schwarz behemdete Scheuklappen“.
Europa muss sich warm einpacken
Für diese Beobachter war schon Trumps Wahlprogramm die nationalistische Regeneration von Positionen, die an den Aufstieg faschistischer Bewegungen erinnerten. Die Art und Weise, wie er seine Gegner abservierte, öffentlichem Hohn und anhaltender Verachtung trotzte, die angeblich mächtigen Eliten erniedrigte und sich als allmächtiger Retter präsentierte , habe an einen gewaltigen Urschrei erinnert, der nicht nur in den USA ,sondern auch in Europa berechtigte Ängste provoziere. Bleibt er der gefürchtete Demagoge, der in seinen Versprechen bewusst zweideutig blieb, um nach seiner Vereidigung zum US-Präsidenten noch ungehemmter ans Werk gehen können? Kann Donald Trumps populistischer Stil erfolgreich nach Europa exportiert werden? Zur Möglichkeit eines Exports des „ Trumpismus“ nach Europa hieß es in der Londoner „ Times“: „ Reife Demokratien können mit populistischen Politikern umgehen ,können sie benutzen und entsorgen, wenn jedoch diese Emporkömmlinge die Volkstribune der Zukunft werden, muss Europa sich warm einpacken und nach einem neuen Konsens suchen“.
Solche Angst scheint begründet .In Washington wird nicht nur die sprichwörtliche Unberechenbarkeit des designierten Präsidenten gefürchtet, sondern auch die kalte Berechenbarkeit, mit der er die eigene Familie, Freunde und Helfer mit Posten und Einfluss versorgt. Schon ist vom „ Kabinett der Milliardäre“ die Rede. Besonders die Wahl von Steve Bannon, Repräsentant der harten politischen US-Rechten, zum „ Senior Counseler to the president“ lässt Schlimmes ahnen. Der EX- Marineoffizier, Harvard-Absolvent, Investmentbanker und Multimillionär gehört zur gefährlichen Clique von Einflüsterern, die auch einem auf Ausgleich bedachten Präsidenten noch Kopf und Geist verdrehen könnten. „ Unser Kampf wird hart und dreckig sein“, hat Bannon über die Redaktion seiner berüchtigten Breitbandseite „Breitbart“ gesagt, die Amerikas Rechtsextremen stets ein mächtiges Forum geboten hat. Für liberale Kenner der amerikanischen Polit-Szene ist dieser Mann. der auf alles hetzt, was ihm irgendwie unamerikanisch, links oder anderweitig verdächtig vorkommt, ein „ sozialer und nationalistischer Revolutionär“, dessen Ideologie an „konservative Propagandisten“ aus der Endphase der Weimarer Republik erinnere.
Sprachrohr der rechtsextremen Bewegung
Der Chefstratege im Weißen Haus hat sein mächtiges, bis nach Europa reichendes Medienunternehmen ausdrücklich als Sprachrohr der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung bezeichnet, die sich mit Trump im Rücken aus der bisherigen Deckung traut und den neuen Chef im Weißen Haus sogar mit „ Heil Trump, Heil unserem Volk“ –Rufen begrüßte . Richard Spencer ist ein „ white supremacist“, der gegen Einwanderer, ausländische Minderheiten, political correctness und Gender agitiert. Er rühmt sich guter Kontakte mit der Identitären Bewegung in Deutschland und Österreich, die er vertiefen möchte. Erste Gespräche wurden bereits geführt.
Seine Aussagen zum Wahlausgang sind bemerkenswert: „ Es gibt einen Paradigmenwechsel, es gibt einen Neubeginn, und das ist unsere Chance. Es ist das erste Mal, dass wir Politik beeinflussen und einen Wandel herbeiführen können.“ Auf Nachfragen wird er noch deutlicher: „ Altright entspricht einer europäischen und nicht amerikanischen Tradition .Die französische Neue Rechte hat uns inspiriert. Ich habe den deutschen Idealismus und Nietzsche studiert. Aber auch die deutsche Konservative Revolution der Dreißiger Jahre hat mich geprägt. Die waren gegen die Nazis. Sie sehen, Altright steht für etwas ganz Neues.“
Erinnerung an Carl Schmitts Freund-Feind-Denken
Diese Haltung gilt es, zu beobachten. Wehleidigkeit hilft nicht, Hinschauen ist Pflicht. Trump wurde als Außenseiter sowohl von amerikanischen Neoliberalen, als auch von evangelischen Christen gewählt, obwohl er sich areligiös präsentierte. Nach Ansicht von Mark Lilla, Ideenhistoriker an der Columbia Universität von New York, betrachteten ihn seine evangelischen Anhänger als „ god father“, oder „ Katechon“, als mystifizierte, paradoxe Figur, die als einzige die Apokalypse und das Chaos aufhalten könne. Den Begriff benutzte der deutsche Verfassungsrechtler Carl Schmitt für die Erklärung seiner politischen Theologie, wobei zu beobachten ist, dass Schmitts berüchtigtes Freund-Feind-Denken nicht nur in den USA, sondern auch in Polen, Österreich und Ungarn eine plötzliche Renaissance erlebt. Carl Schmitt vertrat eine Denkrichtung, die sich nach Heinrich August Winkler unter dem Begriff „ Konservative Revolution“ bis heute eingebürgert hat. Man sollte besonders Schmitts Einlassungen über die Rolle des Staatsoberhaupts genauer lesen, die er 1928, drei Jahre nach der Wahl des ultra-konservativen Reichswehrgenerals Paul Hindenburg zum deutschen Reichspräsidenten. formulierte. Nach der Weimarer Verfassung, so heißt es in seiner Verfassungslehre, kämen nur zwei Führer in Frage: Der Reichskanzler und der Reichspräsident. „Jener bestimmt die Richtlinien der Politik, aber nur, weil er vom Vertrauen des Reichstages, d.h. einer wechselnden und unzuverlässigen Koalition, getragen wird .Der Reichspräsident dagegen hat das Vertrauen des ganzen Volkes, nicht durch das Medium eines in Parteien zerrissenen Parlaments vermittelt, sondern unmittelbar auf seine Person vereinigt“.
Der Präsident wurde gegen den Kanzler, die Demokratie gegen das Parlament ausgespielt und das Volk zum Zeugen gegen seine Vertreter aufgerufen. Es sei der Grundwiderspruch der Weimarer Verfassung gewesen, so Winkler, der es Schmitt ermöglicht habe, „ sein Plädoyer für Führertum und Akklamation durch das Volk derart „demokratisch“ zu begründen. „ Die Erkenntnis Schmitts gilt heute eingeschränkt auch für die USA.
Trump wie Hitler, Mussolini, Franco
Donald Trump stellte die gegebene politische Ordnung der USA bekanntlich als ein korruptes System dar und versuchte seine Anhänger in Massenkundgebungen an seine Person zu fesseln, wie es vor ihm nur erfolgreiche Diktatoren wie Hitler, Mussolini oder Franco vorexerziert haben. Wie diese Demagogen versuchte auch Trump , das Publikum mit immer wieder neu aufgelegten Gewaltphantasien zu erregen, zu denen Mauerbau, Folter und Bombenkampagnen ebenso gehörten wie sein aggressives Macho-Gehabe. Seine Anhänger glaubten ihm offenbar, weil er sie durch die Vision“ make America greater“ zusammen halten konnte.
Dennoch waren alle seine Sprüche und Gesten auch Akte symbolischer Gewalt: Die persönliche Diffamierung ebenso wie die kalte Aufforderung, im Falle eines Wahlsieges der politischen Gegnerin Clinton seinen Anhängern das Recht zur Selbstbewaffnung zu gewähren. Immer wieder versuchte er das Volk, wie er es verstand, mit neuen Gehässigkeiten gegen das verhasste Establishment auszuspielen. Es war seine Doktrin vom zersetzenden Pluralismus, der das parlamentarische System aushöhle und schließlich den Staat auflösen könne. Dieses System sei ohnehin nicht mehr in der Lage, eine politische Einheit hervorzubringen. Carl Schmitt.„ In manchen Staaten hat es der Parlamentarismus schon dahin gebracht, dass sich alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute-und Kompromissobjekte von Parteien und Gefolgschaften verwandeln und die Politik zu dem ziemlich verachteten Geschäft einer ziemlich verachteten Klasse von Menschen geworden ist.“ Klingt dies im Schatten des aktuellen Populismus nicht auch in Deutschland wieder vertraut?
Erschütterung der politischen Stabilität
Gibt es nach dem spektakulären Erfolg dieses Politikers bereits eine „ Erschütterung der politischen Stabilität in unseren westlichen Ländern“, wie der Philosoph Jürgen Habermas analysierte? Offenbar sind die bisherigen Grundwerte westlicher Demokratien- Aufklärung, Rechtsstaat, Respekt und Anstand- nicht mehr wie bisher selbstverständlich. Die demokratische Öffentlichkeit zerfällt, der politische Richtungskampf tobt nicht mehr wie früher nur zwischen Links und Rechts, sondern zwischen der Mitte und den Rändern, zwischen überzeugten Demokraten und hasserfüllten Populisten, zwischen Verteidigern der Grundwerte und denen, die sie infrage stellen. Auch in Deutschland geht die Angst um, dass sich empörte Bürger von der Demokratie abwenden könnten.
Tatsächlich behauptete die AfD, diese Wahl sei eine historische Zeitenwende für die USA und Europa ,weil sie endlich „ den wahren Willen des Volkes“ repräsentiere. Der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen meinte, der Erfolg Trumps sei ein Sieg gegen das „ System“ und die „ Mainstream-Medien“ gewesen, eine letzte Warnung für all die „ arroganten und abgehobenen Politiker“, während der intellektuelle Kopf und AfD-Vorsitzende Alexander Gauland besonders drei Trump-Postulate lobte : Die anmaßende Forderung, die Grenze zu Mexico zu schließen, die allgemeine Einwanderung von Muslimen zu stoppen und das Verhältnis zu Russland zu verbessern.
Augenfällige Lust am Tabu-Bruch
Wenn die Wahl Trumps tatsächlich eine politische Zäsur ist, dann liegt das Gute dieses Paradigmenwechsels vielleicht darin, weil man genötigt wird, neu nachzudenken, anders zu lesen und bisher Vertrautes kritischer zu hinterfragen. What about Carl Schmitt und seine Verfassungslehre? Warum gibt es nicht nur für diesen ominösen Juristen, sondern auch für die Ideen von Mussolini, Franco und Wilhelm Stapel, dessen Stände-und Volkstums-Ideologie den ungarischen Präsidenten Orban fasziniert, eine Renaissance in Europa? Wird es in Österreich und Italien ähnlich gelagerte Regimewechsel geben? Müssen wir uns mit verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigen, die wir bisher ignorierten? Ist der gängig gewordene, wohl eher verharmlosende Begriff vom „Populismus“ die exakte Beschreibung für die neue Bewegung, die plötzlich auf uns zugekommen ist? Ist Populismus nicht identisch mit Autoritarismus und sind die Eruptionen dieser Tage bereits Vorläufer von ähnlichen faschistischen Bewegungen, wie sie vor fast einem Jahrhundert stattgefunden haben? Wie lässt sich die augenfällige Lust am Tabu-Bruch, der Hass auf das System, die Verachtung der Parteien, der Zorn auf die Eliten, die Diffamierung des Establishments und die Verhöhnung des Gegners erklären? Hat es diese plötzliche Lust am Unterwandern aller normativen Regeln, wie sie in den USA stattgefunden hat, mit dieser Unerbittlichkeit bereits gegeben? Werden alle Mahnungen zur Mäßigung bewusst und höchst absichtsvoll ignoriert?
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es gibt Erfahrungen, deren Ambivalenz bis in die Gegenwart hineinreicht und zu Fragen führen, die endgültig beantwortet schienen. Dazu gehört das verhängnisvolle Wirken der Konservativen Revolution und die Erkenntnis, dass die Schwäche der Weimarer Demokratie mit deren höchst destruktivem Denken verbunden war .Es war ein Gift, dass fast die gesamte politische Landschaft zerstörte und schließlich zum Ende der Republik beigetragen hat. Dieses Gift zerstreuten Anhänger des gebildeten Bürgertums, Professoren, Lehrer und Intelektuelle, die sich zu einer außerparlamentarischen Bewegung vereinten. Sie waren nicht progressiv, sondern revolutionär und konservativ- eine Elite, die sich zu einer machtvollen außerparlamentarischen Opposition gegen die Republik formierte.
Erschütterung der Werte als Herausforderung
Diese neuen Konservativen empfanden das Kriegserlebnis, die Novemberrevolution und den Versailler Frieden als großen Umbruch, ihr Dasein war beherrscht von dem Erlebnis einer allumfassenden Krise im politischen, kulturellen und religiösen Leben. Die Erschütterung aller bisher gültigen Werte wurde von ihnen als die große Herausforderung interpretiert. Anders als in der deutschen Romantik befanden sich diese Konservativen während der Weimarer Republik in der Angriffsposition. Die politischen Institutionen waren liberal-demokratisch; jetzt galt es, radikale politische Veränderungen durchzuführen. Aber man verstand sich nicht als bewahrende, sondern als schöpferische Kraft, die dem deutschen Volk eine neue Zukunft aufzeigte- nur wenige der konservativen Hassprediger haben sich Gedanken gemacht, wie diese neue Ordnung auszusehen habe.
Man gelangte zu ständischen Vorstellungen und dem Bild einer gegliederten Gesellschaft. Das deutsche Volk sollte nicht von Parteien beherrscht, sondern gelenkt und geführt sein: Eine Volksordnung, die Interessengruppen ausschließt, eine Verfassung und besonders die Mitwirkung der Parteien verachtet und stattdessen die Nation einem „ staatsmännischen Genie“ überlässt. Eine solche Ordnung befindet sich aber bereits im Zustand des Präfaschismus und ist fast schon diktatorisch. Deshalb hat jene angebliche Elite, die früh vom Dritten Reich träumte und den Parteienstaat als die „ Herrschaft der Minderwertigen“ schmähte, alles getan, um später dem Nationalsozialismus den Weg zu bereiten. Anstatt sich bei ihnen für die geistige Schützenhilfe zu bedanken, hat Hitler sie verfolgt, eingesperrt und wie den Publizisten Edgar Julis Jung ermorden lassen, den er stellvertretend für seine Mitstreiter als „völkischen Schlafwandler“ verspottet hat.
Anfang der Republik nicht als Chance gesehen
Die, aus den Schlachten des Weltkriegs heimgekehrten Konservativen haben den Anfang der Republik nicht als Chance zum Neubeginn, sondern wie viele unter den heutigen Neu-.Konservativen als „ Chaos“ im Zeichen von Flüchtlingselend und Globalisierung empfunden. Man sah damals wie heute überall eine tiefe Not, der man nur durch eine radikale Wende entkommen könne. „Sobald wir nicht siegen, droht der Untergang“, lautete damals die revolutionäre Devise. Dem Untergang stellte man in religiöser, tief romantischer Sehnsucht die Kräfte einer neuen Ordnung entgegen.
Was hat das mit der Realität zu tun? Heutige Bewegungen wie Pegida und andere Rechtsextreme, allen voran die Identitären und die AfD, kann man ohne Rückblick auf die Konservative Revolution kaum noch diagnostizieren. Besonders die neurechte Denkfabrik IfS mit dem Chefredakteur der Zeitschrift „ Compact“, Jürgen Elsässer, aber auch Äußerungen aus dem ultra-rechten Höcke-Flügel der AfD weisen Parallelen zum damaligen Konservatismus auf, zum Beispiel, wenn über den Begriff völkisch, über ein neues Chaos oder einen drohenden Bürgerkrieg geschwafelt wird. Auch bei AfD, Pegida und den Identitären wird über Flüchtlingskrise und Globalisierung ein fast unabänderliches Chaos beschworen, das damals bereits von Oswald Spengler als „ Untergang des Abendlandes“ beschrieben wurde.
Wie Gewalt und Unrecht entstehen
Historiker verstehen sich nicht als Propheten. Man kennt ihre Scheu, Analogien zwischen dem Gestern, Heute und Morgen zu ziehen. Wer aber weiß, wie Gewalt und Unrecht entstehen kann, nur weil konservativ Gebildete den Zustand ihrer Welt nicht richtig wahr genommen haben, der darf Vergleiche ziehen und eine Kausalität zwischen Gestern und Heute versuchen. Carl Schmitt im Weißen Haus? Nach Trumps Sieg ist diese Vorstellung nicht mehr undenkbar geworden.
Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv Bild 147-0978, gemeinfrei