Erstaunlich, welche Erschütterung die unverhoffte Auferstehung der SPD auslösen kann. Beispiel: Angela Merkel und Horst Seehofer. Sichtliche Anstrengung quält sie, Haltung zu bewahren, wenn sie nebeneinander Platz nehmen müssen. In jeder Faser ihres Gesichtsausdrucks leuchtet der Widerspruch zu dem, was sie jeweils gerade an maßgeschneiderter Freundlichkeit über Nebenmann und –frau von sich geben. Ob in München, bei der als Aussöhnung ausgegeben Feier für die erneute Kanzlerkandidatin Angela Merkel, oder bei der Bundesversammlung als der Sozialdemokrat Frank Walter Steinmeier zum neuen Staatsoberhaupt ausgerufen wurde. Ihre Mimik und Körpersprache zeigt den schmalen Grat.
Langsam wird auch sichtbar, was der Preis für die so verkrampft demonstrierte Einheit der Union aus CDU und CSU wohl gewesen sein mag. Klar, die CSU bleibt bei der „Obergrenze“ für Flüchtlinge und nimmt hin, dass die CDU-Vorsitzende davon scheinbar nichts wissen will. Da Dank des Ablasshandels mit der Türkei sehr viel weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, als die von der CSU gesetzte Höchstmarke von 200 000 Menschen, braucht es dazu kein großes Gewese zu geben. Dafür bekommen die in der CSU versammelten Christenmenschen endlich das, was sie ihren Wählern als großen Erfolg verkaufen: die schnelle Abschiebung in sogenannten sichere Herkunftsländer und den Plan in Afrika Sammellager einzurichten, in den sowohl über Asylberechtigung entschieden wird als auch über sofortige Rückführung in die Herkunftsländer, wenn weder Asyl noch Flüchtlingsstatus gewährleistet wird. Das dazu auch Afghanistan gehören soll, ist ein Skandal.
Ausgerechnet Libyen, das Land, das als Transitland für die Mehrzahl der aus Afrika stammenden Flüchtlinge gilt, soll bei Auffanglagern den Anfang machen. Libyen, das von Clans und zerstrittenen Parteien geführt wird und das von jeder Rechtsstaatlichkeit fern, auch noch für Sammellager Verantwortung übernehmen soll, zeigt die Entfernung von einer verantwortlichen, geschweige humanen Flüchtlingspolitik der Union. Dass der SPD-Fraktionsvorsitzenden Oppermann diese Politik auch noch mit dem Hinweis unterstützt, dass es doch darum gehe, den organisierten Schleppern das Handwerk zu legen, zeigt nur wie weit weg mancher Sozialdemokrat vom Wertegerüst seiner Partei geraten ist.
Unter der Hand wird da verscherbelt, was der künftige Bundespräsident gemeinsam mit dem Bundestagspräsidenten in der Bundesversammlung als ein Deutschland zeichnete, das für viele Menschen ein „Anker der Hoffnung“ sei. Der Wahlkampf wird weisen, ob die Annäherung an rechtspopulistische Abschottung und nationalistische Töne so weitergehen wird. Der sozialdemokratische Herausforderer Martin Schulz macht derzeit nicht den Eindruck, als ob er diesem Trend folgen will. Er sollte möglichst rasch klar machen, welche Haltung aus der historischen Erfahrung der Deutschen die einzig mögliche ist und die Willy Brandt als sein Testament beschrieben hat: „Mehr Demokratie wagen“ und „ein Volk der guten Nachbarn sein, nach Innen und nach Außen“.
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