Am Tag nach dem Hochamt für Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe, nach dem Beifallssturm für die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin durfte Horst Seehofer aufs Podium, der innerhalb der CDU und der CSU umstrittene CSU-Chef und Ministerpräsident des Freistaats. Mit Spannung wurde er erwartet, auch mit Sorge. Würde der Horst wieder mal provozieren? Und wie würde der Parteitag reagieren, würde er dem Bayern ein Revanchefoul verpassen, weil der die Kanzlerin auf dem CSU-Konvent so schlecht behandelt, sie quasi hatte stramm stehen, wie ein Schulmädchen aussehen lassen? Nein, da sind die CDU-Delegierten aus anderem Holz, höflich und diplomatisch. Beifall für Seehofer, keine Pfiffe. Und Seehofer verhielt sich brav und rühmte Merkel: „Sie ist eine exzellente Kanzlerin.“ Und dann räumte er auch noch die Sache mit der Obergrenze vom Tisch, indem er sagte, es sei doch egal, Hauptsache die Flüchtlingszahlen gingen zurück.
Friede, Freude, Eierkuchen, wir sind schließlich in der Advents- und in der Vorwahlzeit. Im Frühjahr wird in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg gewählt, die CDU möchte verloren gegangenes Terrain zurückgewinnen. Also wünschte Horst Seehofer viel Erfolg. Er verneigte sich vor den Delegierten. Abgang und Beifall. Man hat sich wieder lieb in der Union.
Hymnen waren in den Medien auf Angela Merkel angestimmt worden, weil die “Chefin“-so der Titel des Kommentars im Bonner Generalanzeiger- die CDU „zurück erobert“ habe, so der Aufmacher der angesehenen „Süddeutschen Zeitung“. Und damit nicht genug. Über dem Leitartikel der SZ war die Überschrift zu lesen: „Merkels Triumpf.“ Diese Linie zog sich durch viele Blätter in der Republik. Es wurde so getan, als hätte die Kanzlerin mit ihrer Rede alle Probleme dieser Welt gelöst. Hat sie aber nicht. Der CDU-Parteitag in Karlsruhe quittierte ihre Rede mit lang anhaltendem Beifall. Gestoppt wurden 9 Minuten.
Inszenierung auf Kongressen
Letzteres ist wie so vieles auf Parteitagen Teil einer Inszenierung, die von denen organisiert wird, die verantwortlich sind für den Kongress, dafür, dass die Chefin oder der Chef möglichst gut wegkommt, dazu gehört der Beifall. 9 Minuten, das ist toll, sicher mehr als beim letzten Mal. Und viel besser als das, was dem SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auf seinem Konvent in Berlin vor wenigen Tagen passierte. Die SPD ist halt kein Kanzlerwahlverein und die Sozialdemokraten haben sich nie gescheut, ihre jeweilige Parteispitze und ihre dazu gehörenden Kanzler öffentlich heftig zu kritisieren. Das waren nicht nur die Jusos, wie jetzt in Berlin. Man frage mal Gerhard Schröder, wie er auf einem Bezirksparteitag der SPD in Bochum verprügelt wurde. Schröder war damals Kanzler. Auch mit Helmut Schmidt ging die Partei hart ins Gericht und verweigerte ihm die Gefolgschaft.
Nicht so die Union und auch nicht die Junge Union, die vor dem Parteitag in Karlsruhe zu den Kritikern des Merkel-Kurses zählte, weil die CDU-Vorsitzende nicht bereit war, den Begriff der Obergrenze im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise zu nennen. Und jetzt applaudierten die jungen Christdemokraten ihrer Chefin. Wie viele andere auch. Das Fernsehen drehte, Hundertschaften von Journalisten schauten zu. Die Familie der CDU war wieder enger zusammen gerückt. Der Eindruck drängte sich, dass die CDU sich an sich selbst berauschte.
Bosbachs beklagt Debattenkultur
Man kann zur Diskussionskultur in der CDU Wolfgang Bosbach zitieren, der sich darüber beklagte, dass eine offene Debatte in der Union nicht mehr möglich sei, weil jede Kritik umgehend mit dem bösen Verdacht versehen werde, man wolle der Kanzlerin eins auswischen. Was Bosbachs Absicht nie war. Und so stimmten sie alle in den Jubelchor pro Merkel mit ein, auch die Junge Union.
Es passte ins Bild dieser Inszenierung, dass das Time-Magazin Merkel gerade zur „Person des Jahres“ gekürt hatte. Wer wollte da noch kritisch hinterfragen, wie Merkels Lösungen denn aussehen. Wer wollte widersprechen, wenn sie betonte, Abschottung sei in diesem Jahrhundert nun keine vernünftige Option. Sie verteilte eine Art Durchhalteparolen und ihre Rede klang wie eine Mischung aus „Jahresrückblick, Tätigkeitsbericht und Kirchentagsansprache“.(Cicero) Dabei nahm sie an einigen Stellen durchaus die Ängste und Sorgen der Delegierten mit auf, Sorgen, die die Menschen im Lande umtreiben, die vielen Muslime würden ihr Leben verändern.
Aber die Dinge verändern sich halt, ob wir wollen oder nicht. Einwanderung hat es in Deutschland immer gegeben, aber vor allem die Union wollte nie ein Einwanderungsgesetz und hat eine geregelte Zuwanderung per Gesetz bisher verhindert. Nun scheinen sich hier Türen zu öffnen.
Kampf ums Überleben
Die Flüchtlingskrise, das wissen doch viele, egal auf welcher Seite sie gerade stehen, ist nur europäisch zu lösen, nur dann, wenn die EU-Partner mitmachen. Ob die Außengrenzen der EU wirklich durch Frontex besser zu sichern sind, ob es möglich sein wird, Millionen Menschen in Afrika daran zu hindern, ihre Heimat zu verlassen, um sich auf den langen Weg nach Europa zu begeben? Das fehlende Wasser, keine Perspektive, der Kampf ums Überleben, all dies steht noch bevor. Wir schaffen das? In Brüssel ist Angela Merkel längst nicht mehr die Chefin, als die sie während der Griechenland-Krise wahrgenommen wurde. Vielmehr erlebt sie, wie die Nachbarn in Osteuropa uns die kalte Schulter zeigen, als wäre die Verteilung von Hunderttausenden von Flüchtlingen allein ein deutsches Problem. Solidarität hat sie eingefordert, aber nicht erhalten. Eigensinn setzen die Slowakei, Ungarn und andere dagegen. Subventionen aus Europa, immer, aber Hilfe für andere nicht.
Der Parteitag verschafft Merkel eine Atempause, weil auch Horst Seehofer friedlich geblieben ist. Sie brauchen sich, die CDU und die CSU. Was wäre die CSU ohne große Zustimmungswerte für Merkel? Davon profitieren doch alle Unions-Wahlkämpfer. Schon Franz-Josef Strauß polterte zwar gegen die CDU und gegen Helmut Kohl, den er einst als total unfähig bezeichnete und ihm die Fähigkeit absprach, jemals das Kanzleramt zu gewinnen. Die Geschichte ging bekanntlich anders aus. Aber auch Strauß musste die schon numerische Überlegenheit der CDU anerkennen, die ihn zwar einmal als Kanzlerkandidaten mittrug und ihn auf dem CDU-Parteitag in Berlin durch eine geschickte Parteitags-Strategie sogar ein wenig feierte. So hatte es Kohl gewollt, weil er wusste, dass der Bayer die Wahl gegen Schmidt verlieren würde.
CSU hat Kreuth nicht vergessen
Ähnlich erging es im übrigen Edmund Stoiber, den ließ Angela Merkel gegen Gerhard Schröder antreten- und Stoiber verlor, wenn auch ganz knapp. Aber danach hatten sich die Ambitionen Stoibers geregelt, er blieb in München. Und einer wie Seehofer mosert und stänkert zur rechten Zeit, aber er wird es nie riskieren, die CSU-Minister aus einem Kabinett Merkel abzuziehen. Kreuth steckt der CSU in den Knochen, jener Lernprozess im Jahre 1976, als Strauß eine Trennung anstrebte und Kohl ihn wissen ließ, dann werde die CDU in Bayern einmarschieren und einen eigenen Landesverband gründen. Vorbei wäre es gewesen mit den absoluten Mehrheiten der CSU. Nein, das ist Geschichte.
Heute müssen sie zusammen kämpfen, um die Probleme zu lösen, die an den Grenzen Bayerns entstehen, weil dort die Tausenden von Flüchtlingen zuerst ankommen, versorgt werden müssen, ehe sie verteilt werden aufs Land und auf die Republik. Ob man die Zahlen reduzieren kann? Oder werden sich die Menschen aus Afrika und Asien auch in Zukunft einfach auf den Weg ins gelobte Europa machen, weil sie sich ihre Rechte holen wollen, die ihnen zustehen in einer Welt, die sie mit Billiglöhnen abspeist und so tut, als gehörte ihnen der Planet. Dabei ist es eine Welt, die allen gehört.
Zäune werden sie nicht abhalten, Obergrenzen auch nicht. Der Parteitag der CDU ist die eine Sache, aber die Realität draußen eine andere. Wir schaffen das? Hoffentlich, aber es wird dauern, viel Arbeit und Geld kosten. Deutschland erlebt die Schattenseiten der Globalisierung, hat jemand treffend festgestellt. Der Beifall der CDU-Delegierten täuscht nicht darüber hinweg, dass es gewaltig knirscht im Gebälk, in Europa und auch in Deutschland.
Bildquelle: Wikipedia, Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC-by-sa 4.0