Der langjährige deutsche Botschafter Frank Elbe hat einen erschreckenden „Mangel an diskreter und vertrauensvoller Diplomatie“ beklagt. Er habe sich nicht vorstellen können, so der erfahrene Botschafter, „dass im Frühjahr 2014- 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und im 100. Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs- eine Lage vorzufinden sein würde, in der wir von allen guten Geistern verlassen worden sind und in der Bedrohung und absurdes, gefährliches Theater so nahe beieinander liegen.“ Der Welt drohe die schwerste sicherheitspolitische Fehlentwicklung seit der Kuba-Krise 1962. Elbe verweist auf die großen Erfolge der Entspannungspolitik in der Hochzeit des Kalten Kriegs. Es sei bemerkenswert, dass dieser beendet und die gewaltigen Veränderungen in Europa herbeigeführt werden konnten, ohne dass auch nur ein Schuss abgefeuert worden sei. Und das alles in einer Zeit beispielloser Hochrüstung in Ost und West und trotz herber Rückschläge wie 1968 in Prag und 1979 in Afghanistan und der Bedrohung durch nukleare Mittelstreckenraketen.
Der Diplomat, der enge Beziehungen zum früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher pflegt, bezeichnet es als schlimm, dass es nicht gelungen sei, in den letzten zwei Jahrzehnten die Beziehungen zwischen Russland, Europa und den USA auf eine ordentliche, nachhaltige Grundlage zu stellen. Aber noch schlimmer wäre es, „den erfolgreichen Weg der Kooperation zu verlassen und amerikanischen Ideen nachzugeben, die darauf setzten, „Russland einzuhegen. Das wäre ein Rückfall in den Schlafwandel der Zeit vor Ausbruch des 1.Weltkriegs.“
Partnerschaft mit dem Westen.
Das heutige Drama besteht nach der Meinung von Elbe darin, dass der lange mühsame Weg, aus der Konfrontation über eine Politik der Zusammenarbeit, der Vertrauensbildung, der Abrüstung und Entspannung zu mehr Sicherheit zu gelangen, ja vielleicht einen Zustand des Friedens zu erreichen, verlassen werden könnte oder bereits verlassen worden sei. Einige Partner des Westens, so bedauert Elbe, machten schon seit geraumer Zeit klar, „dass in dem von Gorbatschow beschworenen europäischen Haus kein Zimmer für Russland frei ist, dass Russland von der dauerhaften gerechten Friedensordnung in Europa besser ausgeschlossen wäre. Dabei verdrängen sie die Tatsache, dass für die Sowjetunion die Aussicht auf eine nachhaltige Partnerschaft mit dem Westen in den Verhandlungen über die deutsche Einheit Voraussetzung für ihre Verhandlungsbereitschaft war.“
Frank Elbe zitiert im Zusammenhang mit der Krimkrise den früheren Sicherheitsberater des Bundeskanzlers Helmut Kohl, Horst Teltschik. Putin, so Teltschik, späterer Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, habe in der Krimkrise dem Westen in einem einzigartigen Kraftakt gezeigt, „wo der Hammer hängt“. Auch wenn die Annexion der Krim teils ein schwer zu verdauender Brocken gewesen sei, gehe es darum, „im Interesse unserer Sicherheit die Stützpfeiler in den Beziehungen zu Russland weiterhin zu verstärken. Es geht auch darum, den Dialog mit Putin wieder aufzunehmen und mit neuer Kraft und wechselseitigem Respekt die Beziehungen weiter aufzubauen.“ Elbe verweist in diesem Zusammenhang auf den ersten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, der in seiner typisch rheinischen Art einst betont habe: „Die Lage ist so, wie sie ist. Wir haben keine andere“. Auch Putin gehöre zur Lage, „wie sie ist- wir haben keinen anderen. Wahrscheinlich ist es sogar so, dass wir keinen Besseren haben, aber durchaus einen sehr viel Schlechteren bekommen könnten.“ Elbe hält Putin trotz allem „für einen berechenbaren, außergewöhnlich begabten Politiker. Er zählt zu den sogenannten Sabadnikis- den Westlern in Russland- und wir sind gut beraten, seine europäische Ausrichtung wieder zu erkennen und zu nutzen.“ Putin habe immer auf eine Partnerschaft mit dem Westen gesetzt, insbesondere mit der EU und der Nato.
Ein gefährlicher Weg
Russland die kalte Schulter zu zeigen oder das Land nicht ernst zu nehmen und seine Führung immer wieder verächtlich vorzuführen, vor einer solchen Haltung könne man nur warnen, so Elbe. Es sei ein „gefährlicher Weg, wenn Russland sich von Europa abwendet und sich nach Asien“ ausrichte. Elbe spricht Deutschland große Erfahrungen in der Entspannungspolitik zu, das Land sei der Motor dieser Entwicklung gewesen und es sei nicht immer leicht gewesen, diese Politik dem Westen gegenüber, namentlich den USA verständlich zu machen. Aber mit dieser Politik habe man schließlich die „Veränderungen in Mittel- und Ost-Europa erreicht und schließlich auch die deutsche Einheit, aber nicht gegen, sondern mit der Sowjetunion.“
Es gelte weiterhin: Es werde keine Sicherheit für Europa und die USA gegen Russland geben, sondern mit Moskau. Das erfordere Respekt vor berechtigten russischen Sicherheitsinteressen und Empfindlichkeiten. Niemand könne „Russland, eine Großmacht mit enormen wirtschaftlichen Ressourcen, eben nicht nur eine Regionalmacht“ nennen-so hat es US-Präsident Obama getan. Eine Strategie, die darauf abziele Russland auszugrenzen, werde keine Rendite tragen, so Elbe. Im Gegenteil würde sie die Interessen des Westens schmälern. Besonnenheit sei gefragt, ein klarer Standpunkt, der aber auf unangemessene Härte ebenso verzichtet wie auf die Verweigerung des Dialogs. Elbe beklagt, dass die Bereitschaft der Nato-Staaten, mit Russland zu kooperieren, immer mehr verloren gegangen sei- vor allem gemessen an der Aufbruchsstimmung beim Londoner Nato-Gipfel 1990, als der Westen der Sowjetunion „die Hand der Freundschaft“ gereicht habe.
Elbe erinnert an die Jahreswende 1989/90, als die deutsche Politik „eine der härtesten Nüsse der deutschen Nachkriegsgeschichte knacken“ musste. „Die USA machten ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung davon abhängig, dass das vereinigte Deutschland Mitglied der Nato werden müsse. Im Februar 1990 begann dann das große Werben des US-Außenministers Baker; er machte im Kreml den westlichen Standpunkt klar, dass das vereinte Deutschland in der Nato bleiben müsse. Baker nannte es im Gespräch mit Gorbatschow „unrealistisch“, wenn die sowjetische Seite davon ausgehe, eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland könne, einmal vereint, neutral bleiben. Ja, er warnte Gorbatschow gar vor der Gefahr, dass sich ein neutrales Deutschland selbst um seine Sicherheit kümmern werde. „Würden Sie ein wiedervereinigtes Deutschland außerhalb der Nato und ohne US-Streitkräfte, dafür vielleicht mit eigenen Atomwaffen lieber sehen?“, fragte er den sowjetischen Präsidenten, „oder ziehen Sie ein vereintes Deutschland vor,das in die Nato eingebunden ist, während gleichzeitig gewährleistet ist, dass die Nato ihr Territorium um keinen Zentimeter in Richtung Osten ausweitet?“
Bakers Wort
„Richtig ist, dass es keine Vereinbarung im 2+4-Vertrag und auch sonst gegeben hat.Das wäre auch nicht der richtige Rahmen gewesen“, erklärt der damalige Leiter des Ministerbüros, der in dieser Funktion eben Mitglied der deutschen Verhandlungsdelegation bei diesen Verhandlungen war und aufs Engste damit befasst war. Wörtlich fügt Elbe aber hinzu: „Aber es kann überhaupt keinem Zweifel unterliegen, dass Jim Baker mit der Autorität der führenden Macht des westlichen Bündnisses eine verbindliche politische Erklärung abgeben wollte und auch abgegeben hat“. Baker habe damals in Moskau nicht nur beiläufig etwas erklärt, nein, diese Erklärung „betraf den Kernpunkt der sowjetischen Zustimmung zur deutschen Einheit. Über nichts ist ausgiebiger verhandelt worden als über das Sicherheitsthema.“ Die Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zur Nato sei „die Mutter aller Fragen“ gewesen, wie es der damalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse auf den Punkt gebracht habe, so Elbe.
Vor diesem Hintergrund kann man die ablehnende russische Haltung gegenüber allen Versuchen des Westens, die Nato Richtung Osten zu erweitern, beinahe nachvollziehen. Gorbatschow und Schewardnadse hätten nach der Einschätzung von Elbe eine solide partnerschaftliche Beziehung zum Westen- zu Deutschland, den USA und zur Europäischen Gemeinschaft- der späteren EU- und zur Nato gewollt, ihnen und allen anderen Beteiligten sei aber auch klar gewesen, dass die sowjetischen Führer diese Politik gegen erhebliche innere Widerstände in Moskau durchzusetzen hatten.
Europa sei kein Vorhof der USA und sollte erst recht kein Kriegsschauplatz für einen neuen kalten Krieg sein, zitiert Elbe die Publizistin Angela Stent. „Als Europäer, als Deutsche haben wir ein Interesse daran, Europa nicht dem Einfluss amerikanischer Innenpolitik auszusetzen. Europa ist unser Kontinent. Es mögen manche Amerikaner Putin für einen „son of a bitch“ halten, aber selbst, wenn er das wäre, gilt: He ist our son of a bitch.“ Was die Zukunft der Ukraine angeht, plädiert Elbe dafür, dass „wir alle, Europäer, Amerikaner und Russen“ bemüht sein müssten, Kiew zu helfen, für die Staatsform zu optieren, die trotz aller Zerrissenheit des Landes den Menschen eine Zukunft in Frieden, Sicherheit und Wohlstand ermöglicht.“
Zur Person: Frank Elbe hat seine Gedanken zum Thema „Wie sicher ist Europa?“ erstmals vor knapp einem Jahr bei einer Kanzelrede in der Bauernkirche in Iserlohn vorgetragen. Elbe will seine Ansichten im Laufe des Frühjahrs 2015 auf der Basis der aktuellen Entwicklungen fortschreiben. Der Jurist und Diplomat, Jahrgang 1941, war in den 70er Jahren Konsular-Referent in der Botschaft in Warschau, in den 80er Jahren Botschaftsrat in der deutschen Vertretung in London, dann im Auswärtigen Amt in Bonn mit Fragen der nuklearen Abrüstung beschäftigt und Anfang der 90er Jahre Leiter des Planungsstabes des AA. Frank Elbe war in der Zeit der 2+4-Verhandlungen Leiter des Ministerbüros und in dieser Eigenschaft Mitglied der deutschen Delegation bei diesen Verhandlungen. Botschafter war er in Polen, Indien, Japan und in der Schweiz. Frank Elbe lebt in Bonn.
Zum Dokument: Die Rede finden Sie in unserem Blog im vollen Wortlaut in der Rubrik Dokumente.
Bildquelle: Wikipedia, Kremlin.ru , CC BY 3.0
Es gibt also doch noch kluge Koepfe in Deutschland. Unsere Regierung – und auch die Opposition – koennten von Herrn Elbe offensichtlich einiges lernen.