Sozialdemokrat sein, heißt in Zusammenhängen zu denken. Das möchte man auch gern dem SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel zurufen. Lord Ralf Dahrendorf hatte bereits vor mehr als 25 Jahren das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters vorhergesagt. Und heute ist die SPD tatsächlich auf dem Weg, ihren Status als Volkspartei zu verlieren. Erstmals rutschte sie in einer auf Umfrage unter 20 Prozent und auch die aktuell von der Forschungsgruppe Wahlen gegebenen 21 Prozent legen nahe, dass der Vertrauensverlust der Wähler/innen dramatische Formen annimmt. Aus der Fraktionssitzung am Dienstag sickerte, Gabriel sei von den Abgeordneten mehrheitlich ermutigt worden, durchzuhalten. Der Fraktionsvorsitzende habe dringend vor einer Personaldebatte um den Vorsitzenden gewarnt.
Wie auch immer, bislang jedenfalls scheint die Analyse über die Ursachen dieses Niedergangs noch nicht sehr gediehen zu sein. Mit der Devise, schnallt den Helm fester und bloß jeden Streit vermeiden, wird es der SPD kaum gelingen, den Weg aus der Krise zu finden. Ein Blick auf die drei letzten Landtagswahlen macht mindestens klar, dass der Wählermarkt sich neu ordnet. Die Hoffnung, dass die AfD an ihren inneren Gegensätzen scheitern werde, ist jedenfalls kurzfristig nicht zu erwarten. Zu glauben, dass allein die Aufnahme vor allem syrischer Flüchtlinge Grund für die Abkehr mancher Wähler von den Volksparteien sei, ist zu kurz gegriffen. Denn Pegida war in Dresden schon Massenbewegung, als deutsche Politik noch den Eindruck hatte, es reiche, das Massengrab Mittelmeer zu ignorieren und die Insel Lampedusa und Italien mit der Fluchtbewegung aus Afrika und dem Nahen Osten allein zu lassen.
Besorgnis der Bürger befrieden
Diese Ignoranz hatte auch einen sozialdemokratischen Anteil. Und sei es, dass Gabriel glaubte, bei Pegida seine Neugier über Ursachen der Besorgnis besorgter Bürger befriedigen zu können. Die Retter des christlichen Abendlandes und ihre Anführer aus dem kleinkriminellen Millieu hatten aber gerochen, dass sie auch die in der massenhaften Wahlenthaltung sichtbare Spaltung der Gesellschaft für sich und ihre Ziele nutzbar machen könnten. Die Wahlenthaltungen waren ja auch ein Signal dafür, dass Millionen Nichtwähler zum Ausdruck bringen, dass ihnen offenbar mit der SPD der „Anwalt der kleinen Leute“ und den Konservativen die nach sozialdemokratischen Überschriften grabschende Union als politische Vertretung abhanden gekommen seien.
Eine gesellschaftliche Spaltung, die auch damit zu tun hat, dass wenige im Land immer reicher werden, und die Zahl derer immer größer wird, die sich zu Recht als Opfer der Globalisierung fühlen. Jedes vierte Kind in Deutschland lebt unterhalb der Armutsgrenze und alleinerziehende Mütter sind eine Konstante im Armutsbericht der Bundesregierung. Und die CSU empfindet es als wirtschaftsfeindlich, wenn die SPD wenigstens Leiharbeit auf Dauer zurückdrängen und den Billiglöhnern mit dem Mindestlohn wenigstens das Existenzminimum sichern will.
Aus dem Leben der Reichen und Superreichen
Gleichzeitig können diejenigen, die sich von der Politik Lösungen nicht mehr erhoffen, jeden Tag Neues aus dem Leben der Reichen und Superreichen erfahren. Die Panama-Papiere werden entschlüsselt und zum Mitlesen wird eingeladen. Da geht es wesentlich darum, mit Hilfe großer Banken Milliarden Euro vor dem Fiskus zu verstecken oder zu verschleiern. Und der Leser hat den zutreffenden Eindruck, dass die Wirtschaftselite jede Art gesellschaftlicher Verantwortung hat fahren lassen.
Nicht einmal die Verantwortung für millionenfachen Betrug, wie bei Volkswagen, führt dazu, dass Manager, denen jedes Mittel recht war, zum größten Automobilhersteller der Welt aufzusteigen, wenigstens Verantwortung zeigen für die Belegschaft des Konzern.. Demut, gar Bescheidenheit? Fehlanzeige. Millionen Euro Boni werden vermutlich demnächst ausgezahlt und Arbeitnehmer werden entlassen. Und derjenige, für den Fußball die schönste Nebensache der Welt ist, der erfährt von Korruption und Millionenschacher bei der FIFA und DFB und beim ADAC. Und die Börse bangt um die kriminelle Vereinigung, die sich die Deutsche Bank unter den Nagel gerissen hat.
TTIP und die Entmachtung der Politik
Das alles wirkt auf eine Gesellschaft, die zugleich Auskunft haben will, ob der nächste Schritt zur Entmachtung von Parlament und demokratischen Regierungen droht, weil das Handelsabkommen zwischen Europa und den USA (TTIP) irgendwann zur Unterschrift ansteht. Die Vermutung ist nicht geringer geworden, dass die Geheimverhandlungen zwischen EU und USA dazu dienen könnten, demokratische Kontrolle und Verfassungsrechte den Konzernen und ihren Machteliten auszuliefern. Kein Thema für Gabriel?.
Es könnte ja sein, dass es bei dieser Sachlage eines entfesselten Kapitalismus auch darum geht, die Antwort auf den Niedergang einer sich in großen Koalitionen verkrümelnden SPD zu suchen und damit zugleich eine Antwort darauf zu finden, was helfen könnte, das sie aus diesem Tief herausfindet, bevor das sozialdemokratische Zeitalter Geschichte ist.
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