In meiner Lokalzeitung muss ich bis auf Seite vier vorstoßen, ehe ich auf einen Zweispalter aufmerksam werde, der ganz unten auf der Seite zu finden ist, mit der Überschrift: „1600 rechte Angriffe“ und der eingeblockten Zwischenzeile „Rassistische Attacken auf Kinder werden oft verharmlost“. Wichtiger erschien der Redaktion dagegen auf der gleichen Seite ein Bericht mit der Überschrift: „Steinmeiers Truppe übernimmt Schloss Bellevue“. Darin wird wortreich mitgeteilt, wer aus dem Außenamt den künftigen Bundespräsidenten in sein Sonntag beginnendes neues Amt begleiten wird. Das scheint so wichtig zu sein, dass es die Aufmachung der Seite beherrscht und noch über den Bruch reicht. Natürlich mit vierspaltigem Foto, um die Bedeutung dieser exklusiven redaktionellen Eigenrecherche zu unterstreichen.
Was mag die Redaktion zu dieser Entscheidung bewogen haben? Jedenfalls wird sichtbar, was das ganze zurückliegende Jahr 2016 zu beobachten war: Rechtsradikale Auswüchse und Hassorgien rutschten, wenn sie denn überhaupt Gegenstand der Berichterstattung wurden, immer mehr nach hinten, zumeist auf die letzte Seite in gedruckten Medien. Je größer die Zahl der Angriffe und Attacken wurde, umso geringer die Aufmerksamkeit, die dem deutsch getragenen Terror der neuen Nazigeneration im Land entgegen gebracht wurde. Auch dieses Mal also die vierte Seite für einen Vorgang, der noch nie so dramatisch war wie jetzt.
600 Kinder Opfer der Angriffe
Allein 2016 zählten die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt 1612 Angriffe rechter Extremisten. Damit 122 mehr als 2015. Aus allen Bundesländern werden jeweils Rekordzahlen gemeldet, wobei üblicher Weise noch Nachmeldungen zu erwarten sind. Ebenso werden aus allen Bundesländern zunehmend Attacken auf Flüchtlingskinder gemeldet. Mehr als 600 Kinder waren Opfer rechter Angriffe. Brennende Asylunterkünfte und Verletzte Flüchtlinge und Attacken auf freiwillige Helfer. Eine beschämende Bilanz.
Sollten die Spannungen zwischen Berlin und Ankara weiter eskalieren, könnte es das Ende der Flüchtlingsvereinbarung der EU mit der Türkei bedeuten. Wenn die Grenzen nach Europa wieder geöffnet werden, wird sich die Flüchtlingsrate schnell wieder nach oben bewegen. Das dürfte den rechten Terror dann wohl erneut steigern.
Statt sich darauf einzustellen und Vorkehrungen zu treffen, die jedenfalls Registrierungen ermöglichen, und Unterkünfte bereitzustellen, ist der rechte Terror aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Der Bundesinnenminister kennt nur den religiös bemäntelten Terror der Islamisten, der mit beigefügtem Gruselfaktor gern gedruckt wird. Gleichzeitig behauptet er, dass Afghanistan oder der Irak sichere Länder seien, in die abgelehnte Asylsuchende ruhig abgeschoben werden könnten. Kein Tag, an dem nicht über eine Festnahme von IS-Verdächtigen Mitteilung gemacht wird, wie allerdings zumeist zwei Tage später auch deren Entlassung aus der Untersuchungshaft, weil die Beweislage zu dünn war. Kein Wort über den Terror von Rechts ist von ihm zu vernehmen.
Aufklärungsrate gering
Mit dem Terror von außen lässt sich wohl gut verdecken, dass die Aufklärungsrate des Terrors von rechts im Land nach wie vor gering ist. Die neuen Nazis, ob sie sich nun „Reichsbürger“ oder „Identitäre“ nennen, müssen vor nichts weniger fürchten, als von der Polizei entdeckt zu werden. Das wissen auch diejenigen, die, obwohl Haftbefehle gegen sie vorliegen, sich regelmäßig der Verhaftung entziehen können. Mittlerweile sind es einige hundert Rechtsextremisten, die sich in den Untergrund begeben haben. Der Verfassungsschutz hat die Vermutung, dass ungeklärte Überfälle und Sprengung von Bankautomaten auf ihr Konto gehen. Da braut sich was zusammen und lässt für den beginnenden Wahlkampf nichts Gutes vermuten. Es wird uns vermutlich mehr beschäftigen als den Wahlkämpfern lieb ist. Die Befürchtung ist groß, dass das gesellschaftliche Klima sich dann erneut nach rechts verschieben könnte.
Bildquelle: Wikipedia, Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0